Etwa sechs Prozent unter dem Mindestbedarf

Sozialministerium konkretisiert Reform der Sozialhilfe. Vor allem Alleinerziehende könnten schlechter gestellt werden

BERLIN taz ■ Die Agenda 2010 ist im Kabinett beschlossen, die Gesetzentwürfe liegen vor. Aber die Verwirrung über diese „größte Strukturreform in der deutschen Sozialgeschichte“, wie Kanzler Schröder sie stolz tituliert, hält an. Gestern mühte sich daher der parlamentarische Staatssekretär im Sozialministerium, Franz Thönnes (SPD), zumindest einen Baustein des Umbaus zu erläutern: die neue Sozialhilfe. Bisher erhalten etwa 2,7 Millionen Menschen Sozialhilfe. Künftig werden nur noch 200.000 Personen Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen. Sie sind vorübergehend erwerbsunfähig, oder sie können nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten. Eine weitere Million wird Hilfen in besonderen Lebenslagen empfangen. Dies sind vor allem Behinderte und Pflegebedürftige.

Alle anderen Sozialhilfeempfänger scheiden aus. Wer dauerhaft erwerbsunfähig ist, wechselt in die Grundsicherung. Das sind etwa 70.000 Personen. Wer täglich mindestens drei Stunden arbeiten kann, den übernimmt die Bundesagentur für Arbeit. Dort erhält er Arbeitslosengeld II; die etwa 600.000 nicht erwerbsfähigen Familienangehörigen – also vor allem Kinder – bekommen Sozialgeld. Der Deutsche Städtetag kann bisher nicht beziffern, wie viele kommunale Angestellte ihre Aufgabe verlieren, wenn mehr als 1,5 Millionen Sozialhilfeempfänger in andere Systeme abwandern.

Die Sozialhilfe soll laut Ministerium nur noch das „unterste Netz der sozialen Sicherung“ sein. Ein Euphemismus: Die Sozialhilfesätze werden als „Referenzsystem“ auch für das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld und die Grundsicherung gelten. Die Hilfe zum Lebensunterhalt wird für einen Haushaltsvorstand 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten betragen. Denn die einmaligen Leistungen werden „pauschaliert“, Wintermäntel oder Kühlschränke müssen nicht mehr gesondert beantragt werden. Nur Wohngeld und Heizkosten werden weiter separat gewährt. 60 bis 70 Millionen Euro sollen die Kommunen dadurch sparen.

Die Pauschalierungen basieren auf einer Untersuchung von 1991. Damals ermittelte das Bundesamt für Statistik, dass die Kommunen etwa 16 Prozent ihres Sozialhilfeetats für Einmalleistungen aufwenden. Umgerechnet auf aktuell 295 Euro für westliche Haushaltsvorstände sind dies zusätzliche 47 Euro. Großzügig rundete man um drei Euro auf, das macht dann die neuen 345 Euro.

Die Paritätischen Wohlfahrtsverbände kritisieren, dass das Sozialhilfeniveau auch künftig um etwa 6 Prozent unter dem „gesellschaftlichen Mindestbedarf“ liege. Das Sozialministerium widerspricht. Zahlen von 1998 zeigten, dass die Leistungsempfänger zunehmend weniger für Lebensmittel ausgäben und mehr Anschaffungen tätigten. Unausgesprochen schwingt mit: Verhungern tut niemand. Das hat zu reichen.

Alleinerziehende könnten die Verlierer der neuen Sozialhilfe sein. Bei Kindern zwischen 7 und 14 Jahren würden sie 207 statt 230 Euro bekommen, bei Kindern ab 14 Jahren 276 statt 319 Euro. Eine interministerielle Arbeitsgruppe will sich mit dem Problem befassen. UH