nebensachen aus sofia
: Fußgänger im Überlebenskampf auf bulgarischen Straßen

Bürgersteig heißt auf Bulgarisch „trotoar“. Diese Entlehnung aus dem Französischen deutet bereits an, dass den einst viel gepriesenen „Preußen des Balkan“ diese Einrichtung stets irgendwie fremd war. Auch zwei Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union haben daran nicht viel geändert: Nach wie vor haben Fußgänger schlechte bzw. überhaupt keine Karten.

Das gilt auch für die Hauptstadt Sofia. Hier ist die Zahl der Autos in den vergangenen Jahren explosionsartig angestiegen. Deren Halter meinen, ihre privaten Transportmittel (die oft ein Statussymbol sind) überall abstellen zu können – was sie auch tun. Das führt dazu, dass vielerorts die Gehwege zugeparkt sind und zwar so gnadenlos, dass nicht einmal die kleinste Chance besteht, durch die schmale Lücke zwischen Stoßstangen und Häuserwänden hindurchzuschlüpfen.

Der derart diskriminierte Passant muss folglich auf die Fahrbahn ausweichen. Da auch diese oft nicht gerade großzügig ausgelegt ist und bulgarische Autofahrer in der Regel von Geschwindigkeitsbegrenzungen eher wenig halten, gilt hier die Devise: Nur wer schneller zur Seite springt, stirbt später.

Doch die Ignoranz der Autofahrer ist nicht der einzige Grund dafür, dass bei einem Spaziergang keine Entspannung aufkommen will. Dafür sorgt bereits der allgemeine Zustand der Straßen, der an manchen Stellen katastrophal ist. Kraterähnliche Löcher, aber auch kleine Unebenheiten im Straßenpflaster zwingen zu einem permanenten Zickzackkurs, der höchste Aufmerksamkeit erfordert. Ein besonderes Überraschungsmoment bergen Kabel oder kleine Eisenstangen, die aus dem Boden ragen und schnell zum Fallstrick werden können.

Je nach Wetterlage verschärft sich die Situation. Sobald es etwas stärker regnet, sammelt sich das Wasser in den Vertiefungen, und diese sind trockenen Fußes leider nicht immer zu umgehen. Zudem zwingen ungeteerte Straßenabschnitte den Fußgänger in eine unerfreuliche Schlammschlacht. Wenn dann auch noch Frost einsetzt, erfordert die Fortbewegung per pedes fast artistisches Können. Angesichts dieser Widrigkeiten vollbringen die Bulgarinnen, die gerne auf hohen Absätzen unterwegs sind, beim täglichen unfreiwilligen Balanceakt auf den Straßen wahre Meisterleistungen.

Unlängst mokierte sich die bulgarische Wochenzeitung Kapital in einem Kommentar über den Sofioter Haushalt für 2009 darüber, dass die Mittel für die Instandsetzung der Infrastruktur in der Hauptstadt geringer seien als im vergangenen Jahr. So, als ob es keine Straßen gebe, die ausgebessert werden müssten, und der Ausbau der U-Bahn die einzige Priorität habe.

Doch offensichtlich scheinen derlei Versäumnisse der Popularität des Bürgermeisters von Sofia, Bojko Borissow, nicht zu schaden. Ganz im Gegenteil: Seine Partei GERB hat sogar gute Chancen, nach den diesjährigen Parlamentswahlen im Sommer Teil der Regierungskoalition zu werden. Ist das Apathie oder bereits komplette Resignation? Oder einfach die schmerzhafte Einsicht vieler Bulgaren, dass, allen Hoffnungen noch von vor zwei Jahren zum Trotz, der Weg ihres Landes nach Europa noch lang ist. Und sehr, sehr holprig.

BARBARA OERTEL