: Ein unmoralisches Rachebedürfnis
Resozialisierung, Prävention, Vergeltung: Von jeher stellt sich im Strafrecht die Frage, welchen Sinn Strafe haben kann
Wer etwas anstellt, wird dafür bestraft. Dieser Grundsatz ist uns seit unserer frühesten Kindheit präsent. Auch im Umgang mit dem Staat und der Polizei ist selbstverständlich, dass auf eine kriminelle Tat eine Strafe folgt.
Der moderne Staat hat dabei das Monopol der Bestrafung an sich gezogen. Der Einzelne, der Opfer einer Straftat geworden ist, ist nicht (mehr) berechtigt, die Bestrafung des Täters nach Gutdünken vorzunehmen. Vielmehr lag und liegt es im Interesse des Staates, einen einheitlichen Strafenkatalog für vergleichbare Fälle zu haben und einzusetzen.
Strafe dient von jeher der Abschreckung, Vergeltung und der Sicherung. Zu strafen bedeutet, jemandem mit Absicht ein Übel zuzufügen. Auf kriminelle Taten reagiert der Staat mit absichtlicher Übelzufügung durch staatliche Organe. Dabei setzt die Übelzufügung eigentlich schon vor dem Strafantritt an: Bereits das Strafverfahren beschneidet Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen und greift – auch bei einem Freispruch – erheblich in seine Rechte ein. Schon ein Ermittlungsverfahren kann zum wirtschaftlichen oder politischen Ruin führen.
Von jeher stellt sich im Strafrecht die Frage, welchen Sinn Strafe haben kann. Im modernen Staat muss eine moralische, ethische Komponente hinzukommen, um Strafe als sinnhaftes, akzeptiertes Moment im gesellschaftlichen Zusammenleben zu etablieren. Wo diese Komponente fehlt, ist Strafe Willkür. Und so müssen sich auch staatliche Pläne, Arbeitsleistung statt Geldstrafe einzusetzen oder Neuerungen im Strafvollzug einzuführen, daran messen lassen, ob sie tatsächlich Verbesserungen sind oder nur Geld sparen sollen.
Neben der theoretischen Frage nach dem Sinn der Strafe stellt sich auch die nach der praktischen Umsetzung und deren Sinn. Lange Zeit war Strafe Körperstrafe, physisches Leiden und der Schmerz waren ihre wesentlichen Elemente. Mit der Erkenntnis, dass Arbeitskraft ein Wert an sich war, wurde auch der Körper wichtiger und daher weniger geschunden. Es entstanden die Zucht- und Arbeitshäuser, die schließlich in die modernen Zellengefängnisse mündeten. Die Freiheitsstrafe etablierte sich als wichtigste Bestrafungsart.
Haftstrafen wirken, das haben Untersuchungen ergeben, zutiefst persönlichkeitszerstörend. Schon nach einem Jahr Haftdauer entstehen schwerste Schäden. Dies ist in Fachkreisen weitestgehend bekannt und lässt sich nur damit rechtfertigen, dass Haft nicht der Resozialisierung dienen soll, sondern der Generalprävention und ggf. der Befriedigung des allgemeinen Rachebedürfnisses. Dies sollte einem modernen Staat wie dem unseren nicht angemessen sein, denn der Grundpfeiler unserer Verfassung ist die Würde des Menschen. Eine Haftstrafe bedeutet nicht nur den Verlust der Freiheit, sondern stellt auch ein sozial-ethisches Unwerturteil dar, das oftmals existenzvernichtend sein kann. Dennoch werden immer mehr und längere Haftstrafen verhängt, die Haftbedingungen immer mehr verschärft.
Hier besteht ein massives gesamtgesellschaftliches Diskussionsbedürfnis, denn es müssen zumindest Zweifel daran angemeldet werden, dass die Grausamkeit von Haftbedingungen zu einem präventiven Vermeiden von Straftaten führt. Resozialisierend wirken sie auch nicht – und es muss bezweifelt werden, dass wir es uns leisten können, durch Strafhaft deformierte Menschen in die Freiheit zu entlassen, nur um ein Rachebedürfnis auszuleben. Waltraut Braker
Die Autorin ist Rechtsanwältin in Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen