berliner szenen Pankow trifft Pankow

Helden des Alterns

Mancher Zufall ist zu dämlich, um einfach so erfunden zu sein. Nur deshalb ist diese kleine Geschichte wahr: Angst, die Bahn zu verpassen, die Rolltreppe am Nollendorfplatz raufgehastet, blinkt schon „Pankow“ über dem Bahnsteig, der Zug ist überfällig, aber noch nicht da. Luft geholt, ein bisschen gejapst, streift der Blick über den Bahnsteig, bleibt hängen, schweift scheinbar gelangweilt ab, wandert zurück und, noch mal geguckt – er ist es tatsächlich! Direkt unter „Pankow“ steht: Pankow, die Band, oder besser: ein gewichtiger Teil davon, ihr Sänger André Herzberg. Sofort fragt man sich unwillkürlich, ob ihm in diesem Moment die nicht allzu feinsinnige, aber doch irgendwie schöne Ironie auffällt, dass exakt über ihm der Name seiner alten Kapelle aufleuchtet.

Aber wie der Sänger da so steht auf dem Bahnsteig, ohne Band, aber dafür mit Plastiktüte in der Hand, und auf die U-Bahn wartet, erinnert er so gar nicht mehr an den Ostberliner Frauenhelden verblichener Tage. In seinem quietschbuntem Hemd in schier unendlich vielen Rottönen, mit dem arg ergrauten Haar und einem nicht zu übersehenden Übergewicht wirkt das Blinken über ihm stattdessen wie ein schadenfroher Kommentar, wie eine gehässige Erinnerung an seinen verflossenen Ruhm. Dann aber rauscht die U-Bahn ein, in den Fenstern kann man einen Blick auf die eigene Erscheinung werfen und darf feststellen: Die eigene Generation holt einen immer ein. Auch wenn man Pankow nicht ausdrücklich schätzte, als man noch zusammen jung war, ist man doch nun zusammen alt, und zumindest das verbindet einen mit den Helden der Jugend. Immerhin aber, auch das verrät das Spiegelbild, trägt man wenigstens die geschmackvolleren Hemden. THOMAS WINKLER