Kein Zucker, kein Fett, nirgends

Es kneift in der Hose: Die Neuköllner Oper inszeniert Mozarts „Cosí fan tutte“ als Schwulenkomödie. Das geht nur gut, solange niemand ernsthaft zu singen versucht. Dann bricht unfreiwillige Komik den intelligenten Witz

Neun Männer sitzen am runden Tisch, einer schläft hinten am Klavier. Leere Flaschen, schmutziges Geschirr, miese Stimmung, die Party ist vorbei. Aber das Theater beginnt, der Saal füllt sich, und dann hält es einer da vorne nicht mehr aus. Springt auf, setzt sich an den zweiten Flügel vorne, drei andere folgen. Zu viert, mit acht Händen, greifen sie in die Tasten. Unverkennbar die ersten Akkorde von Mozart, die den Titel intonieren, noch ohne Text, aber er klingt vertraut im Ohr: „Co-sí fan tut-te.“

Ja, auch die Schwulen machen es so. Sie vor allem, und ein Problem haben sie damit erst recht. Der Sex. Gar nicht fröhlich rollt das Presto der Ouvertüre an, ein Wechselspiel bösartiger Läufe, von peitschenden Akkordschlägen unterbrochen. Wenn es vorbei ist, weiß wieder keiner, was er sagen soll. Peinliches Schweigen. Christian Senger, bekannt aus der ZDF-Serie Soko 5113, mampft verdrossen Nudelreste in sich hinen. Er spielt die Despina, das Dienstmädchen, und wird an diesem Abend noch oft über gewollte und ungewollte Katastrophen hinwegtrösten. „Macht nicht dick“, mümmelt er, das steht so im Rezeptbuch, man darf nur nie Fett mit Zucker kombinieren.

Das gibt es hier bestimmt nicht. Winfried Radekes klug abstrahierende, die musikalische Konstruktion offen legende Fassung dieser vielleicht tiefsinnigsten und modernsten Partitur von Mozart klingt niemals süß. Kein Zucker, kein Fett nirgends. Die Bühne ist kahl, nur die Porträts der Personen hängen an der weißen Wand, schöne Männer allesamt, die sich schon bald viel zu tief in die Augen schauen.

Aber so ist das eben in dieser Oper, die vom puren Sex handelt, und es deshalb immer etwas schwer hatte im Repertoire. Auch am Tisch mag man darüber nicht reden, aber es kneift in der Hose auf dem harten Stuhl. Endlich beginnt Don Alfonso, im grauen Anzug der New Economy gespielt von Matthias Ehm, zu singen. Treue ist ein Kindermärchen, die Wette steht, und wir sind angekommen in dieser Verwechslungskomödie für zwei Paare. Der Regisseur Robert Lehmeier versucht gar nicht erst, die Absurdität der Handlung, die sich schon immer selbst bloßlegte, auch nur durch einen Rest von schwankhafter Glaubwürdigkeit zu mildern. Die in der Krieg abgerufenen Liebsten kehren als rosa Panter und weißes Kaninchen zurück, und jeder weiß hier, dass er es nun mit dem treiben wird, der eigentlich dem anderen gehört.

Lorenzo da Ponte, der Librettist, kann zufrieden sein: Die Neuköllner Oper hat sein Stück zu einem lustigen Schwulenkabarett umgeformt, das ebenso ungeniert die Klischees der Szene bedient, wie das da Ponte schon tat für sein Publikum. Man lacht gerne über das Gefummel am Gefühl und Geschlecht dieser Männer – denn natürlich war die Verführung nie eine Frage des kleinen Unterschiedes, sondern der großen Lust.

Die Frauen also werden in dieser Frauenoper tatsächlich nicht vermisst, wohl aber ihre Stimmen. Denn das alles will gesungen werden, und anders als für das Orchester, an dessen Stelle die beiden Flügel stehen, ist dafür keine Lösung gefunden worden. Nur Jan Remmers als Ferrando ist erträglich, alle anderen aber scheitern grauenvoll. So mischt sich überall die unfreiwillige Komik entsetzlich geknödelter falscher Töne in den gelungenen Witz dieses Versuchs, Mozart umzuschreiben. Skizzenhafte Parodien hätten die Sache vielleicht gerettet, aber es bleibt stur und unbelehrbar und beim ebenso quälenden wie ernsthaften Bemühen, wenn schon nicht große, dann wenigstens schöne Oper zu singen. Die gibt es nicht. Nicht bei Mozart.

NIKLAUS HABLÜTZEL

Neuköllner Oper, Karl Marx Straße 131, nächste Aufführungen: Di., Do., Fr., Sa., 20 Uhr