frisches flimmern
: Amerikanische Albträume

Jugendliche im amerikanischen Hollywood-Kino sind entweder nur schön (neu: „Total verknallt in Tad Hamilton“) oder heldenhafte Vorbilder (neu: „The Miracle“). Zwei Filme zeigen ein amerikanisches Jugendmilieu jenseits der glänzenden Wunschtraumbilder. Tod und Schmerz als Ausdruck eines Lebensgefühls. Das ist nicht normal.

Sexorgien

Der neue Film „Ken Park“ von Larry Clark spielt im Milieu der amerikanischen Skater-Szene. Das realistische Jugenddrama zeigt das Grauen hinter der Alltagsfassade einer amerikanischen Kleinstadt. Zu Beginn des Films düst Ken Park (Adam Chubbuck) auf seinem Board zum örtlichen Skaterpark. Neben der Bahn baut er eine kleine Videokamera auf. Dann holt er eine Pistole aus seinem Rucksack und schießt sich in den Kopf. Mit brachialer Gewalt gewinnt Regisseur Larry Clark die Aufmerksamkeit des Kinozuschauers. Im weiteren Verlauf des Dramas beschreibt er das alltägliche Leben von vier befreundeten Jugendlichen in der kleinen amerikanischen Stadt Visalia, was nicht minder erschreckend ist. Die Familienverhältnisse sind gestört. Der aggressive Tate (James Ransone) lebt bei seinen Großeltern. Doch die Kommunikation ist gestört. Das Zusammenleben unerträglich. Die Situation eskaliert und Tate tötet seine Großeltern im Schlaf. Claude (Stephen Jasso) wird von seinem Vater für einen „Schlappschwanz“ gehalten und zerstört deshalb das Skateboard des Sohnes. Seine althergebrachten Ideale von Männlichkeit sind abstrus. In der Nacht wird Claude von seinem Vater sexuell bedrängt. Shawn (James Bullard) verliebt sich in die Mutter seiner Freundin. Doch die unzufriedene Hausfrau will nur ihr Sexbedürfnis befriedigen. Der Vater von Peaches (Tiffany Limos) projiziert nach dem Tod seiner Frau das Rollenbild der Verstorbenen ersatzweise auf seine Tochter. Als er Peaches und ihren Freund beim Sex „ertappt“, verliert der religiöse Fanatiker die Kontrolle. Er verprügelt den Jungen und zwingt seine Tochter das Brautkleid seiner Frau zu tragen, um ihre sexuelle Unschuld wieder herzustellen. „Ken Park“ ist neben „Kids“ und „Bully“ der dritte Teil seiner Trilogie, die sich mit dem Leben im heutigen Amerika beschäftigt. Er zeigt die Kehrseite des amerikanischen Traumes. Es herrschen Verzweiflung und Hass. Trotzdem weist ein versöhnliches Bild am Ende des Films auch in eine mögliche Zukunft. Der Sex gibt den Jugendlichen eine Unbeschwertheit und Freundschaft zurück. Skandalregisseur Larry Clark beschreibt in seinem Jugenddrama einige Formen häuslicher Gewalt zwischen Eltern und Kindern. Er erzählt seinen „Familien-Film“ aber dennoch in schönen Bildern. „Ich wollte nicht diesen modischen Dogma-Stil. Alle wollten zeigen, dass sie eine Form von emotionaler Aufrichtigkeit einfangen können. Das ist zu einem Klischee geworden. Wir haben versucht, dagegen zu halten“, sagt Kameramann Ed Lachmann.

Prügelorgien

Amerikanische Jugendliche prügeln mit Stacheldraht umwickelten Keulen und Glasscherben aufeinander ein. Rasierklingen lassen das Blut fließen. Ihre Fangemeinde wächst. Auch der englische Dokumentarist Paul Hough zeigt in seinem neuen Film „The Backyard“ Bilder einer skurrilen amerikanischen Jugendkultur, die ebenfalls um Aufmerksamkeit kämpft. „Backyard Wrestling“ nennt sich die extremste Form des beliebten Showkämpfens. In den USA gibt es fast in jeder Stadt eine Backyard-Liga. Viele Amateur-Wrestler träumen natürlich von einer Profi-Karriere. Paul Hough widmet sich in seinem Dokumentarfilm diesen Kämpfern und gibt persönliche Einblicke in das Leben der Brutalsportler. Dabei vermeidet er einen rein bloßstellenden Ansatz. Scar, eigentlich heißt er einfach Matthew, ist der „King of Hurt“ und einer der Hauptprotagonisten des Dokumentarfilms. Mit drei Jahren wurde er mit einem Nierenschaden in eine Kinderklinik eingeliefert. Die nächsten fünf Jahre musste er dort bleiben. In seiner frühesten Kindheit war er deshalb ein Einzelgänger und hat schon unzählige Operationen über sich ergehen lassen. So erklärt sich vielleicht sein sonderbares Verhältnis zum Schmerz. In der „High Impact Wrestling“ Federation ist er ein vernarbter Star. Mitstreiter Bo Gates sagt, dass sein einziger Freund der Schmerz sei. Warum, das zeigt der Film. Zuerst berichteten TV-Sender über die Schaukämpfe. Nach dem Columbine Massaker wurde vermehrt nach gewaltbereiten Jugendlichen gesucht. Für viele ist das Backyard-Wrestling aber mittlerweile auch ein Sprungbrett in die Wrestling-Profi-Liga WWE. Vermarkten lassen sich solche „echten“ Brutalo-Typen auf jeden Fall. Auch in Deutschland gibt es eine Art Backyard-Kampfsportszene, wie z.B. die Bochum Backyard Wrestling-Liga. Paul Hough, Sohn des englischen Horror-Regisseurs John Hough, erzählt in seinem schmerzvollen Dokumentarfilm vom Dasein heutiger Jugendlicher, über ihren amerikanischen Traum und die Freundschaft. Ganz normal also.

STEFAN ORTMANN