Die Wäscherei der guten Ideen

In der Wäscherei am Moritzplatz wird mehr geboten als weiße Wäsche. Hier werden Aussiedlerinnen, Migrantinnen und andere sozial Benachteiligte an die harte Realität des Arbeitsmarktes herangeführt. Mit den Änderungen durch Hartz IV jedoch ist die Fortführung des Qualifizierungsprojekts gefährdet

VON WALTRAUD SCHWAB

„Gigantische Kräfte“ seien am Werk, um die Wäscherei am Moritzplatz zu retten, meint Rita Spanner, die Geschäftsführerin. Gelingt das nicht, gibt es ein Beispiel mehr für Schwachstellen der Hartz IV-Reform. Denn bisherige Arbeits- und Qualifizierungsprojekte für Sozialhilfeempfänger sollen aufgelöst werden. „Einmal abgewickelt, ist so eine überaus sinnvolle und erfolgreiche Einrichtung schnell vergessen“, sagt Spanner.

Sinnvoll und erfolgreich ist die Wäscherei. Das klingt nach Lobeshymne, wo sich doch Bilder von rauen Händen aufdrängen. Rissig und trocken sind sie. Auch das Atmen fällt schwer in der mit Waschmittelgeruch geschwängerten, heißen Luft. „Und dennoch ist es für viele Frauen ein Glück, hier arbeiten zu dürfen“, meint Spanner. „Selbst Akademikerinnen ziehen das der Arbeitslosigkeit vor.“ Von Glück spricht Spanner, trotz Knochenarbeit.

„Ich finde es schön, wenn alles sauber ist“, sagt Alexandra P. Sie kommt aus Kiew. Seit acht Jahren lebt sie in Berlin. Aussiedlerin, Mutter, Sozialhilfeempfängerin, 45 Jahre alt ist sie. In der Ukraine war sie Ingenieurin. Das hat man auf dem Arbeitsamt nicht als Können verbucht. Zu alt, zu sprachunsicher, zu veraltet die Technik, auf die sich ihre Ingenieurskenntnisse bezogen. Summa summarum aus Sicht des Arbeitsamtes: unbrauchbar.

Die Anstellung in der Wäscherei, die zudem eine Reinigung und Änderungsschneiderei hat, ist ihre erste in Deutschland. Fast allen ihren Kolleginnen geht es genauso. Vehement schüttelt Alexandra P. das Laken, das sie mit Blanca K. aus Polen zusammenfaltet. Resolut wird es mit kräftigen, heißen Händen glatt gestrichen. Die Entschlossenheit, mit der die beiden zu Werke gehen, erlaubt keinen Zweifel daran, dass die moderne Zivilisation mit weißer Wäsche begann.

Maximal zwei Jahre können die Frauen in der Wäscherei arbeiten. Es ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme des Sozialamts, das dem Grundsatz folgt, die Sozialhilfe Gewinn bringend als Lohnersatzleistung zu verstehen. Soll heißen: Die Stütze ist kein Almosen, sondern ein umdefinierter Lohn. Die Arbeit soll die Frauen beruflich weiterbringen, damit sie später auf dem Arbeitsmarkt mehr Chancen haben. In den Monaten ihrer Anstellung müssen die Frauen deshalb immer wieder Prüfungen ablegen. In Wäschekunde, Reinigungskunde, Bügeln, Mangeln, Fleckentfernung und in den Techniken der Änderungsschneiderei, in Verwaltung und Kundenbetreuung. Nun aber ist Unruhe unter den 15 Frauen eingekehrt. „Ich weiß ja nicht, ob ich bleiben kann“, seufzt Blanca K. Sie arbeitet erst seit einem Jahr hier.

Mit Hartz IV und der damit einhergehenden Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollen Projekte wie die Wäscherei abgewickelt werden. Denn dann ist es nicht mehr die Aufgabe der Sozialämter, Beschäftigungsangebote zu machen. In Berlin ist bereits eine ganze Zahl solcher Einrichtungen geschlossen worden. Die Wäscherei existiert nur noch, weil ihre Förderungszusage nicht Anfang des Jahres, sondern erst Ende August auslaufen soll – drei Tage vor dem fünften Geburtstag des Projekts. Mittlerweile hat sich aber auch in der Verwaltung herumgesprochen, dass mit vorschneller Abwicklung der Projekte mehr Probleme geschaffen als gelöst werden. Deshalb die „gigantischen Kräfte“, die nun am Werk sind. Denn eigentlich handelt es sich bei der Wäscherei um eine Erfolgsgeschichte. „Wahrscheinlich gesichert scheinen wir nun bis Ende des Jahres“, meint Spanner. Danach müsse man sehen. Sie ist wild entschlossen, sich weiter wie ein weiblicher Tarzan durch den Förderungsdschungel zu hangeln.

Seit 1999 gibt es die Wäscherei am Moritzplatz. Bisher wurden 60 Sozialhilfeempfängerinnen ausgebildet. Migrantinnen, Aussiedlerinnen, sozial benachteiligte Menschen. Hinzu kommen bei jedem Durchgang noch zehn Leute im so genannten Zuverdienst. Gemeint sind psychisch Kranke, die durch eine zeitweilige Arbeit wieder stabilisiert werden sollen. In Tagesstrukturierung, Überwindung von Ängsten, Festigung des Selbstwertgefühls und im Entlohntwerden üben sie sich. „In allem eben, was Arbeit bedeuten und bewirken kann, wenn man nicht unglücklich arbeitet“, erklärt Spanner.

Die Diplompädagogin, die auch schon Buchhändlerin und Restaurantpächterin war, hat die Wäscherei mit ausgedacht. Sie befindet sich in einem nach ökologischen Kriterien gebauten Wohnblock mit eigenem Blockheizkraftwerk. Um dieses auszulasten, wurde ein kleiner Betrieb mit großem Energiebedarf gebraucht. Die Wäscherei eben.

Anders als bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Arbeitsamtes, die nur dann förderwürdig sind, wenn die ausgeübten Tätigkeiten nicht durch den bestehenden Markt abgedeckt werden können, durften sozialamtsgeförderte Maßnahmen marktorientiert arbeiten. Spanner hält dies für eine wichtige Voraussetzung, um die Frauen wirklich fit zu machen für den freien Arbeitsmarkt. Durch ihren hohen Qualitätsanspruch hat sich die Wäscherei einen Kundenstamm weit über Berlin aufgebaut. Derzeit wird an Betriebserweiterung gedacht, um auch reguläre dreijährige Ausbildungen anbieten zu können. Spanner weiß, dass sie in die Zukunft denken muss, auch wenn die Gegenwart schon bald Vergangenheit ist.

Die Bestätigung durch die Kunden wirkt auf die Frauen in der Wäscherei zurück. „Sie gehen mit gestärktem Selbstbewusstsein hier raus“, meint Spanner. „Die meisten der Frauen, die zu uns kommen, sind Migrantinnen – und Mütter. Sie haben einen Erziehungsauftrag.“ Das mit der Mutterschaft beschäftigt Spanner besonders, macht sie daran doch die Folgen verfehlter Integration fest. „Wie können die Frauen in Deutschland Vorbildfunktion für ihre Kinder haben, wenn sie keine Chance haben, sich in der Gesellschaft einzubringen?“ Es ist gut, wenn die Kinder sehen, dass ihre Mütter Geld verdienen und Selbstständigkeit sowie Auseinandersetzungsbereitschaft zeigen. Durch Arbeit wird Kontakt mit den anderen Kulturen eingefordert und auch eingelöst. So lerne man sich kennen, so würden Sprachbarrieren sicht- und überwindbar, die Gesetze des Arbeitsmarkts erkennbar. „Uns geht es darum, die Frauen in ihren positiven Anliegen zu stärken. Wir können keine Arbeitsplätze zaubern. Aber wir können vermitteln, dass sie sich dafür einsetzen können, dass man sich dafür einsetzen muss und dass man durch Einsatz viel bewegen kann.“

Die Wäscherei ist kein Eldorado. Für die größtmögliche finanzielle Unabhängigkeit setzt sich Spanner überaus wendig ein – nicht nur beim Auftreiben finanzieller Fördertöpfe. Ständig werden in der Schneiderei auch Dinge entworfen. Regenbekleidung etwa, Schlafanzüge oder Sommerhüte. Auch exquisite Textilverpackungen für Kosmetika wurden entwickelt. Derzeit wird an eigenen Designkollektionen gearbeitet. Immer wieder gelingt es Spanner, dass die Wäscherei und ihre Produkte in Frauenzeitschriften vorgestellt werden. Das eröffnet neue Märkte. Spanners Vision: „Wir wollen mit unserer Arbeit überzeugen.“ Aus ihrer Sicht sind Komplimente à la „Dafür, dass ihr sozial seid, seid ihr gar nicht so schlecht“ Beleidigungen. Sie stehen für einen Zeitgeist, der mit der Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt.