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: Computerwürmer, Stromausfälle: Verschont uns mit Geschwätzigkeit

Zunächst wusste niemand irgendetwas, aber natürlich stand dennoch sofort fest: Es gab überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung. Terroranschlag ausgeschlossen, erklärte Präsident George W. Bush, während die USA und Kanada noch an wechselseitigen unbewiesenen Schuldzuweisungen feilten. Deutsche Energiekonzerne beteuerten, ein vergleichbarer Stromausfall wie jetzt jenseits des Atlantiks könne sich hierzulande ohnehin nicht ereignen – unter anderem deshalb, weil Deutschland bei Prävention und Technik weltweit führend sei. Selbst die Stadtwerke Hannover fühlten sich bemüßigt, eine Stellungnahme abzugeben. Na prima.

  Entwarnung an allen Fronten also. Nur: Wovon sollen wir mit diesen Äußerungen überzeugt werden? Dass die hoch komplexen Systeme, auf denen die modernen westlichen Gesellschaften basieren, eigentlich gar nicht versagen können, jedenfalls nicht angreifbar sind? Was für ein Unfug. Jeder einigermaßen intelligent entwickelte Computervirus beweist das Gegenteil, wie wir gerade in diesen Stunden feststellen können. Im störungsfreien Alltag wird das ja auch grundsätzlich gar nicht bestritten. Da müssen diffuse Bedrohungen aller Art als Begründung für die massive Einschränkung von Grundrechten und sogar für Kriege herhalten.

 Das ändert sich erst, wenn der Ernstfall eintritt – und der ist mindestens ebenso oft die Folge einer Panne wie eines Attentats. Nichts hat sich seit dem Störfall im AKW von Tschernobyl geändert: Nach wie vor besteht die nach Ansicht der Verantwortlichen offenbar dringlichste Sofortmaßnahme darin, routiniert, eilig und unglaubhaft zu versichern, alles sei beherrschbar und unter Kontrolle. Diese Zusagen verhindern jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der unerfreulichen Erkenntnis, dass wir eben keineswegs unverwundbar sind – und mit der zentralen Frage, welchen Preis wir für welche Abwehrmaßnahme zu zahlen bereit sind. Materiell wie ideell.

 Es gab im Zusammenhang mit den Stromausfällen in den Vereinigten Staaten und Kanada viele gute Nachrichten. Der telefonische Notruf funktionierte genauso wie die Wasserversorgung und der Notstrom in den Krankenhäusern. Und die Leute bewahrten die Ruhe. Diese Bilanz stimmt auch dann noch, wenn sich herausstellen sollte, dass die Zahl der kriminellen Delikte doch größer war, als bisher angenommen wird.

 Wäre das nicht Grund genug, eine offensichtlich gelassene Öffentlichkeit im Ernstfall wenigstens einmal für einige Stunden mit dem Beruhigungsmittel der betulichen Geschwätzigkeit zu verschonen? BETTINA GAUS