Blumenthal rettet den Deich

Jede Menge Helfer, aber keine Sandsäcke: Beim simulierten Deichbruch hinter Hasenbüren scheitern die Katastrophenschützer fast ein zweites Mal. Bis Feuerwehrleute aus Bremen-Nord zur Verstärkung anrücken und ebenfalls zum Spaten greifen

„Es gibt immer so ’ne Chaos-Phase, wo alles drunter und drüber läuft“

Bremen taz ■ Quer, längs, quer. Den „Arsch“ zum Wasser, die Öffnung nach unten umgeschlagen, damit der Sand nicht herausfällt. Der Abschnittsleiter der Feuerwehr hat genug von den guten Tipps der Deichexperten. Die enger gewebten Säcke mit dem feinen Sand nach außen, die groben nach innen, lautet deren neueste Order. „Was soll ich denn machen, wenn ich nichts anderes habe“, brüllt er gereizt und stapft wütend über den Wall. Beziehungsweise das, was einmal ein Wall werden soll.

Über zwei Stunden schon ist der Feuerexperte mit der roten Schulterkappe mit fast hundert Mann zur Stelle, hier, kurz hinter Hasenbüren, wo eine Furt im Deich am Samstag Kulisse einer Übung ist. Breitbeinig stehen die HelferInnen herum, in ihren dunkelblauen Latzhosen mit den Leuchtstreifen über den festen Stiefeln und dem „Freiwillige Feuerwehr“ auf dem Rücken, die Hände in Lederhandschuhen, damit die schweren Säcke nicht so schmerzen. Nur: Die Säcke lassen auf sich warten.

Ganze drei Schichten der Wasser-Stopp-Pakete haben die Katastrophenschützer bislang verbaut. Ab und zu fährt ein Lkw auf dem Deich vor und ein Gabelstapler karrt eine neue Palette mit Sandsäcken in die Furt. Trotzdem: Was dort schon bald den Weser-Fluten trotzen soll, ist erst ein jämmerliches Schwellchen, nicht einmal kniehoch. „Wenn wir doch bloß Material hätten“, stöhnt einer.

Der Deichfachmann, der die Szene beobachtet, hat die Hoffnung längst aufgegeben. „Machen wir uns nichts vor“, sagt er: „In zwei Stunden kommt das Wasser.“ Auch Übungsleiter Rolf Denker, Katastrophenschutz-Experte beim Innensenator und Erfinder der ganzen Übung, wagt keine Prognose mehr über den Ausgang.

Übung gescheitert – das wäre nicht das erste Mal. „Starke Hanseaten“ hatte der damalige Innensenator Kuno Böse (CDU) den letzten Deichverteidigungsversuch vor einem Jahr getauft. Schon einmal hatten die Feuerwehrleute damals versucht, den Einlauf in das Tidenbiotop hinter Hasenbüren übungshalber zu stopfen – vergeblich: Als das Wasser kam, war der Schutzwall noch nicht fertig. Die Flut riss die bereits aufgetürmten Säcke von oben wieder weg und schob den ganzen Wall schließlich nach hinten in den Tümpel. Die reißfeste, aber rutschige Plastikplane, die Sand vor Wasser schützen soll, ist aus diesem Grund jetzt nur noch vorne untergeklemmt. Was aber, wenn es diesmal wieder nicht klappt? „Dann wird das nochmal wiederholt“, kündigt der Einsatzleiter an.

Danach sieht alles aus. Schon schlagen Weser-Wellen über die ersten Steine der Furt. Missmut macht sich unter den 220 Helfern breit. Unter der Hand werden die Schuldigen schon benannt: Das Technische Hilfswerk (THW) etwa sei viel zu spät mit Lkw und Stapler angerückt, heißt es. Am Sandsack-Füllplatz des Deichverbandes, gut zwei Kilometer entfernt, hätten die Feuerwehrleute daher die ersten Lkw noch von Hand beladen müssen. „Ich weiß jetzt: Wenn ich das THW rufe, dann dauert das seine Zeit“, resümiert Denker tags darauf.

Der THW-Vertreter hingegen verbreitet Optimismus. „Am Anfang gibt es immer so ’ne Chaos-Phase, wo alles drunter und drüber läuft“, wiegelt er ab. Dass der Stapler zu spät kam, „liegt an der Einsatzleitung und der Kommunikation – das soll man nicht überbewerten“. „Im Ernstfall“, da ist er sicher, „ist der Nachschub kein Problem.“

Kurz nach vier zieht die Einsatzleitung dann die Notbremse und ordert Verstärkung aus Bremen-Nord. Bei der Freiwilligen Feuerwehr in Blumenthal piepsen die Alarmgeräte, 12 Mann müssen zum Sandschaufeln anrücken. Auch rund 20 Sanitäter, das psychologisch geschulte Kriseninterventions-Team und Taucher vom Deutschen Roten Kreuz und der DLRG greifen jetzt zum Spaten. Erfolgreich haben sie zuvor acht vom Wasser überraschte „Biologiestudenten“ aus dem Tümpel gefischt und versorgt sowie die „Leiche des Lehrers“ vom Grund geborgen: Den wassergefüllten „Torso“ hatte die Übungsleitung am frühen Morgen im See versenkt.

Auf dem Sandsack-Füllplatz richtet die Verstärkung eine zweite Abfüllstelle ein, fortan gibt es Baumaterial im Pendelverkehr. Um den Wellenschlag zu minimieren, befiehlt die Bremer Revierzentrale den Schiffen auf der Weser, ihre Geschwindigkeit zu drosseln. 11.000 Jutesäcke, handgefüllt mit 250 Tonnen Sand, trotzen am Ende der Flut: Obwohl das Wasser wegen des in die Wesermündung drückenden Winds um 19.07 Uhr gut einen halben Meter höher steht als normal, ragt die Krone des provisorischen Walls noch zehn Zentimeter darüber – und er hält.

Armin Simon