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: Weltekel, ade: Ein Hoch auf den Stammtisch

Die Krise des Ausgehens dauert schon recht lange an und doch hört man in letzter Zeit immer öfter den dummen Satz „Ach, ich gehe eigentlich gar nicht mehr aus“ oder „Der xy geht auch nicht mehr aus“. Die Gründe für die neueste Heimwelle sind vielfältig: Weltekel, Finanznot, freiberufliches Arbeitsethos, neue Kinder, neue Liebe, Depression, Lesewut, Stumpfheit. Das alles sind und waren immer schon temporäre Hinderungsfaktoren. Relativ neu ist, dass es nun auch im Kreis der werktätigen Dreißigjährigen als schick gilt, „am liebsten zu Hause zu bleiben“. Oder, nicht weniger traurig, „höchstens mal ins Restaurant zu gehen“.

Nun: deren Problem, könnte man achselzuckend denken, aber wir sind ja leider nicht allein auf der Welt. Zum Ausgehen gehört Begleitung oder zumindest die Gewissheit, am anvisierten Ort nicht alleine rumzustehen. Nur: Die anderen werden immer weniger. Gerade für Frauen wird der Freund zur größten Mobilitätsfalle. Während man zu Beginn der jungen Beziehung noch fleißig ausgeht, sich interessiert und interessant gibt um der üblichen Pärchenverspießerung zu entgehen, ist es spätestens nach einem halben Jahr so weit: Das Paar ist sich selbst genug und genießt abends zu zweit die schöne Zimmereinrichtung. Traurig, wie sich dann immer wieder das alte Sprichwort bewahrheitet: Sitzt der Freund erst auf dem Sofa, hilft kein Auto und kein Mofa.

Das Ausgehen an sich unterscheidet man grob in zwei Grundarten, nämlich groß ausgehen und die kleine Lösung. Groß ausgehen heißt: Körperpflege, sich bewusst anziehen, dann zuerst mit anderen an einem neutralen Ort treffen, trinken, dann zum Club, dort andere treffen, trinken, eventuell Drogen nehmen, tanzen, reden, Ortswechsel, andere treffen, trinken, eventuell noch mehr Drogen nehmen und noch mehr tanzen, usw. usf.

Neben dieser kraft-, zeit-, und geldraubenden Variante nimmt sich die kleine Lösung recht bescheiden aus: einfach irgendwo in der Nähe etwas trinken gehen. In Zeiten der um sich greifenden Ausgehverweigerung kommt, wenn überhaupt, immer öfter die kleine Lösung zum Tragen. Und so ist es zu einer unerwarteten Renaissance der Stammkneipe gekommen, einer uralten Institution, deren schlechter Ruf nur noch von dem des Stammtisches – der Stammkneipe innerhalb der Stammkneipe – übertroffen wird.

Ein runder Tisch in Tresennähe, an dem sich stets die größten Deppen und Honoratioren zum Saufen treffen. Gerne ist hier das Wort Stammtisch in einen silbernen aschenbecherartigen Gestängeaufbau graviert, manchmal wird auch ein herziges „Da hocke die, die immer da hocke“ in die Tischplatte geschnitzt. Das alles wirkt abschreckend und hat zu Recht zum schlechten Ruf der Stammkneipe beigetragen. Auch der Evergreen des Schlagersängers Peter Alexander hat Mitschuld: „Die kleine Kneipe in unserer Straße. Da wo das Leben noch lebenswert ist.“

Das hört sich nicht gut an und der Großstadtmensch mit seinen verfeinerten Sitten sieht sich doch lieber als Entdecker seiner Stadt, als Connaisseur, der wissend durch die Straße schweift. Alles ist offen für ihn, er ist überall und nirgends zu Hause. Wie will man einen solch freien Geist in eine muffige Stammkneipe zwingen!

Und doch ist dies ein Plädoyer für die Stammkneipe, sie bietet dem verunsicherten Individuum vielerlei Vorteile! Man kommt und geht, wann man will, fühlt sich akzeptiert und muss die eigene Integrität nicht immer neu beweisen. Und wenn sich eines Tages die Krise des Ausgehens wieder gelegt hat, wenn es wieder ein sinnvolles freudiges Schweifen und Neu-Entdecken gibt, dann werden wir hin und wieder an der alten Stammkneipe vorbeigehen und uns der finsteren Zeit erinnern, als sie unser einziger Trost war.CHRISTIANE RÖSINGER