Eine vollständige Anonymisierung ist nicht möglich

Der Ethikrat betont zwar das Selbstbestimmungsrecht der Spender. Aber die Forschung mit Gewebeproben soll auch ohne Einwilligung erlaubt sein

Wer Biobanken aufbauen und vermarkten möchte, braucht nicht nur Körperstoffe, persönliche Daten und viel Geld. Notwendig sind auch Regelungen, die solche Sammlungen fördern und langfristig absichern helfen. Eine Vorlage für den Bundestag, die in ein – seit langem angekündigtes – Gentestgesetz einfließen könnte, hat der Nationale Ethikrat im Frühjahr geliefert.

Die vom Bundeskanzler persönlich berufenen Experten betonen das „Selbstbestimmungsrecht des Spenders“, der demnach in Entnahme sowie Speicherung von Körpersubstanzen und Daten grundsätzlich einwilligen müsse.

Die Einwilligung, die der Ethikrat wünscht, ist eine Blankoermächtigung. „Spender“ sollen „ganz allgemein“ und unbefristet zustimmen, dass ihre Daten und Proben zu Forschungszwecken genutzt werden. Begründung: Das Potenzial von Biobanken könne „häufig nur ausgeschöpft werden, wenn deren Verwendung nicht auf einzelne, im Vorhinein spezifizierbare Forschungsvorhaben begrenzt bleibt“. Mittels Genchips ist es technisch machbar, eine einzige Blutprobe auf etliche Merkmale hin zu analysieren.

Wer einmal Ja gesagt hat, muss nach dem Ethikrat-Modell damit rechnen, dass seine Daten und Substanzen kursieren: Sie dürften auch an andere Forscher transferiert und verkauft werden, sofern sie zuvor anonymisiert oder codiert worden sind; sogar komplette Biobanken dürfen die Besitzer wechseln. Immerhin wird „Spendern“ das Recht zugestanden, ihre Einwilligung „jederzeit zu widerrufen“. Trotzdem sollen Forscher die Materialien dann nicht vernichten müssen – sondern, anonymisiert, weiter nutzen dürfen.

Wer eine vollkommene Anonymisierung von Blutproben suggeriert, verspricht zu viel: „Das Ergebnis einer einzelnen Genomanalyse“, erläuterten die Datenschutzbeauftragten Ende 2000 der Enquetekommission zur Medizinethik, „kann auch ohne die beigefügte Zuordnung zu einer Person oder einer personenbezogenen Probe immer durch eine spätere Referenzanalyse wieder re-individualisiert werden ebenso wie ein Fingerabdruck.“

Vielen Menschen wird aber gar nicht bewusst sein, dass Körpersubstanzen, die ihnen einst zwecks Diagnose oder Therapie entnommen wurden, womöglich auch für wissenschaftliche und kommerzielle Ziele weiter verwertet werden. Gleichwohl ist der Ethikrat entschieden dagegen, die „Spender“ nachträglich zu informieren und entscheiden zu lassen, ob ihre Probe verwendet oder vernichtet werden soll.

Bestehende Sammlungen, fürchten die Experten, „wären für die Forschung verloren, wenn man sie rückwirkend nach heutigen Kriterien beurteilen und für ihre Nutzung eine wirksame Einwilligung und Aufklärung fordern würde“. Dass Genforschung mit Biobanken Risiken in sich birgt, weiß auch der Ethikrat. Potenzielle „Fehlentwicklungen in der Gesellschaft“ sollten aber „nicht Gegenstand der Aufklärung durch den Forscher sein“. Zwar könnten aus Analysen individueller Proben „Aussagen über die genetischen Besonderheiten und Risiken“ ganzer Patienten- und Bevölkerungsgruppen abgeleitet werden. Mitbestimmen dürfen sollen sie aber nicht. „Die Betroffenheit dieser Gruppen“, findet der Ethikrat, „kann nicht dazu führen, dass zusätzlich zur Einwilligung der Spender eine Gruppeneinwilligung erforderlich ist.“

KLAUS-PETER GÖRLITZER