PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Jeder ist ein Star, wenn man ihn nur lässt

Wir brauchen keine sozialen Befriedungsprogramme. Alles was wir brauchen, sind neue Preisausschreiben

Ob ich jemals im Leben etwas gewonnen habe? Bei einem Preisausschreiben? Da fällt mir wenig ein. Als ich zehn war, stellte ein Bierfahrer der Pfullinger Klosterbrauerei „Sigel“ mal eine Kiste Afri-Cola vor unserer Haustür ab, weil ich ein Gedicht eingereicht hatte: „Groß und klein und Mensch und Tier – alle mögen Sigel-Bier.“ Mehr war nicht. Was aber auch daran lag, dass ich seit vielen Jahren an keinem Preisausschreiben mehr teilgenommen habe. Mir reichen die Cocktailmixer und Thermoskannen, die mir meine Tante Irene zu jedem Geburtstag schenkt. Sie hat sie alle bei Kreuzworträtseln gewonnen. Grautier mit vier Buchstaben: Egel.

Meist sind die ausgelobten Preise die Briefmarke nicht wert. Lug und Trug und Schund und Schmutz. Die Vorstellung, eine 14-tägige Reise in die Türkei antreten zu müssen (mit Begrüßungscocktail und Halbpension), bereitet mir Angstzustände. Oder ein Wochenende in einem Wellness-Hotel im Bayerischen Wald? Der Herr möge mich behüten. Und werden wirklich mal echte Autos oder gar Bargeld verlost, ist die Glückssträhne mit Sicherheit nicht auf Seiten eines Widders. Auch der Lottogemeinschaft, der ich aus alter Anhänglichkeit seit 15 Jahren angehöre, ist noch kein nennenswerter Treffer gelungen.

Der Anruf der Neckermann Versand AG vor ein paar Wochen versetzte mich darum nicht gerade in Euphorie. Die Pressestelle fragte an, ob ich die Reise von Preisausschreiben-Gewinnern journalistisch begleiten wolle. Im ersten Moment schwante mir Schreckliches: Mit Heinz und Hilde Kowalkowski aus Niederföhrenbach eine Woche am Strand von Ibiza? Spannender kann Journalismus wohl nicht sein. Doch schon im nächsten Moment schmolz meine Abwehrhaltung dahin: Drei Motorrad-Fans hatten beim Advents-Preisausschreiben des Versandhauses die Tour auf einer Harley Davidson durch Arizona gewonnen. Der Schauspieler Wolfgang Fierek („Ein Bayer auf Rügen“) sollte den Reiseleiter geben. Vergangene Woche fuhren wir los.

Ich will jetzt nicht davon erzählen, wie mir dummerweise mitten in der Wüste und ausgerechnet etliche Meilen vor der Ortschaft „Hope“ (Hoffnung) das Benzin ausging, als ich einmal die Gruppe verließ und alleine fuhr. Keiner der vorbeifahrenden amerikanischen Autofahrer reagierte auf mein Winken. So viel zu den freundlichen Amis. Viel interessanter ist davon zu berichten, wie ein rheinland-pfälzischer Hausmeister, ein niedersächsischer KfZ-Mechaniker und ein Thüringer Gipswerk-Techniker im Laufe der Woche aufblühten, weil sie etwas gewonnen hatten, was es in keinem Versandhauskatalog zu kaufen gibt: mediale Aufmerksamkeit und Achtung. Drei Männer, denen die Lebensregie die Rolle der Zuschauer zugewiesen hatte, standen eine Woche lang plötzlich im Rampenlicht. Kaum dass sie ein Lokal betraten, ging der Scheinwerfer der immer anwesenden Fernsehkamera an. Noch bevor sie am Morgen ihre schweren Maschinen starteten, wartete schon die Fernsehjournalistin von „Vox-Tours“ auf das erste Interview des Tages.

Mit jedem Tag wurden die Gewinner kamerasicherer. „Die Szene sollten wir nochmals drehen“, meinte der Gipsanlagen-Techniker, als er am Rande des Grand Canyon einmal einen kurzen Hüstler beim Interview hatte, und kaum sahen sie die Kamera aus dem Begleitfahrzeug auf sich gerichtet, nahmen die drei Hauptgewinner auf ihren Harley Davidsons Haltung an. Jeder ist ein Star, wenn man ihn nur lässt. Auch Wolfgang Fierek erzählte eines Abends, dass er beruflich als Feinmechaniker begann.

Wir brauchen keine sozialen Befriedungsprogramme. Wir brauchen neue Preisausschreiben. Eine Woche Wohnrecht als Hauptgewinn für den Siemens-Pförtner in der Villa von Daimler-Chef Jürgen Schrempp. Badeurlaub zusammen mit dem Kanzler im italienischen Pesaro für den verbitterten Post-Pensionär. Wir würden uns alle am Ende lieben und verstehen. Mit Heidi Klum eine Woche durch den brasilianischen Regenwald wandern … ich wäre bei Preisausschreiben endlich wieder mit dabei.

Fragen zum Gewinnen? kolumne@taz.de MONTAG: Peter Unfried über CHARTS