Vier Tore aus dem Nichts

Dank eines überragenden Franca gewinnt Tabellenführer Bayer Leverkusen auch gegen Hannover 96 mit 4:0 und sieht nun die Gefahr, zu sehr auf die Schultern geklopft zu bekommen

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Bei Hannover 96 hatte rein gar nichts gepasst. Die Fans, fast ausnahmslos in Rot gekleidet, verkündeten lauthals eine „schwarz-weiß-grüne Invasion“, als sie den Gästeblock füllten. Sie wähnten sich offenbar auf Schalke, als sie preisverdächtig blöd skandierten: „Wer hat den kleinsten Schwanz im Land? Ebbe, Ebbe, Ebbe Sand.“ Und dann gingen auch im Spiel Taktik und Torschüsse, einfach alles daneben. „So wie wir spielen wollten, hat Leverkusen gespielt“, erkannte Abwehrchef Kostas Konstantinidis, „jetzt sind wir wieder am Boden der Realität.“ Und Trainer Ralf Rangnick sah „die Tore aus dem Nichts gekommen.“

0:4. Eine satte Abfuhr. Wenig zu sehen vom Ex-Leverkusener Thomas Brdaric, dem einfachen Nationalspieler, der übereifrig Fouls und Fehlpässe produzierte und seine Haare mächtig raufte nach zwei Chancen, die Torwart Butt sprunggewaltig entschärfte. Noch weniger war zu sehen vom Tschechen Jan Simak, dem Rückkehrer, der sichtlich vor Ehrgeiz brannte, aber nur durch Pfeifkonzerte gegen sich auffiel. Und vom kongenialen Landsmann Jiri Stajner nur technische Unzulänglichkeiten. Das Traumduo „Stajmak“ war ausgefallen.

4:0. Ein satter Triumph. Drei Spiele, drei Siege, zehn Tore. Alleiniger Tabellenführer. „Es macht keinen Sinn, euphorisch zu werden“, sagte Torwart Butt. „Gefährlich ist jetzt das Schulterklopfen von allen Seiten“, unkte Kapitän Ramelow. „Wir haben Glück gebraucht“, wusste Trainer Augenthaler. Ja, sind sie jetzt verkehrtherum realitätsblind, diese Leverkusener? Im Vorjahr fast abgestiegen wegen dauerhafter Selbstüberschätzung und jetzt, nach dem klaren Sieg gegen eine starke „hannoveranische Mannschaft“ (Augenthaler) Meister im Understatement?

Keineswegs. Hannover, spielstark, technisch versiert, mit den offensiv brillanten Krupnikovic und de Guzman, hatte kurioserweise von allem mehr: Spielanteile, Ballbesitz, Ecken und vor allem klare Einschussmöglichkeiten. Bayer tölpelte bisweilen in der Abwehr und spielte viele Konter so lässig ins Nichts, dass man an die grausligen Unzulänglichkeiten des Vorjahres erinnert wurde. Ein halbes Dutzend beste Gelegenheiten hatte 96 nach dem frühen 0:2 nach neun Minuten. Aber wenn Bayer durchkam – und das versiert –, trafen sie auch. Hannovers Keeper Gerhard Tremmel bekam erst gar keine Chance, seine vermeintliche Unsicherheit zu belegen: Die vier Tore waren unhaltbar, und den ersten Schuss parierte der Keeper in Minute 88.

Nachher konzentrierten sich alle Blicke auf Leverkusens brasilianisches Quartett. Auf ihren Zivilshirts gaben sie Botschaften kund: Juan trug ein schwarzes Hemd mit Bekenntnissen auf portugiesisch: „Glaube, Ehrlichkeit, Einsatz, Hoffnung.“ Lucio, das Monster im Abwehrzentrum, verkündete per Aufdruck seine „endless internal energy“, gespeist durch „flames from within“. Robson Ponte, der Rückkehrer aus Wolfsburg, sagte schlicht: „Ich weiß, was ich kann“ – und bescheinigte seinem Landsmann Franca, dem Matchwinner: „Der hat gute Augen.“

Franca, wieselig und unberechenbar, hatte viele gute und vier überragende Szenen: Sein Tor, zwei feine Torvorlagen und einen klugen Passiv-Assist, als er vor dem entscheidenden 3:0 den Ball zu Torschütze Neuville durchrollen ließ.

Das ist ein anderer Franca, der da jetzt auf dem Platz steht. Nicht mehr der Zappelphilipp von achtfachem Nationalspieler, dem im Vorjahr in 18 Einsätzen neben einem mickrigen Treffer fast nichts gelang, der kopfbeschüttelt wurde und manches mal ausgepfiffen. „Da war ich sehr traurig.“ Im Training wurde der 27-Jährige damals „angepflaumt wie ein Jugendspieler“. Jetzt hat er emsig an sich gearbeitet, auch schon vor der Saison, und will „alles wieder gut machen“. Trainer Augenthaler, sagte er, habe „ihm Selbstbewusstsein zurückgegeben“. Auge gab nach dem fünften Sieg im fünften Bayer-Auftritt das Kompliment zurück: Die Leistungsexplosion habe sich Franca „hart erarbeitet“. Der Auftritt gegen 96 war für Franca „ein komplettes Spiel“. Und er widersprach der Sprachregelung der anderen im Club: „Ziel ist es immer, auf dem ersten Platz zu stehen.“ Was soll einer sonst sagen, der in die Elf des Jahrhunderts seines renommierten Exvereins FC São Paulo gewählt wurde?

Die schönste Erkenntnis aber hatte Kostas Konstantinidis zu bieten. Der rechtfertigte sieben Gegentore in zwei Spielen auf süße Weise: „Unsere angebliche Defensivschwäche ist doch wie ein Bonbon, das immer weiter gelutscht wird.“

Bayer Leverkusen: Butt - Balitsch, Lucio, Juan, Placente - Schneider (76. Kaluzny), Ramelow, Ponte, Babic - Neuville (65. Bierofka), Franca (78. Berbatov)Hannover 96: Tremmel - Schneider (46. Schuler), Konstantinidis, Vinicius, de Guzman - Lala, Simak, Krupnikovic - Stajner (79. Zuraw), Christiansen (46. Stendel), BrdaricZuschauer: 22.500 (ausverkauft); Tore: 1:0 Franca (2.), 2:0 Neuville (9.), 3:0 Neuville (52.), 4:0 Bierofka (73.)