„Den Ängstlichen beißen die Hunde“

Nicht modern, sondern eigen: Die Sängerin Mayte Martín und die Tänzerin Belén Maya sind nicht nur auf der Bühne ein Paar. Ein Gespräch über Flamenco und Feminismus, persönlichen Stil und klassisches Repertoire sowie das geheimnisvolle „Duende“

Interview IRENE HUMMEL

taz: Frau Martín, der Flamencogesang wird traditionell von Männern dominiert, da es lange kaum professionelle cantaoras gab. Wie reagiert Ihr Publikum heute nun auf Sie?

Mayte Martín: Das Publikum hat kein Problem damit. Schließlich hat es bezahlt, um genau das zu hören. Vielleicht gefällt es ihnen, vielleicht nicht. Aber ihnen ist es ganz egal, ob ich Frau, Mann oder Schildkröte bin.

Es fliegen also keine Tomaten auf die Bühne …

Martín: Um einen Gemüseladen zu eröffnen, hat es bislang nicht gereicht. (lacht)

Belén Maya: Aber schwieriger ist es schon als Frau!

Martín: Nicht mehr, wenn du es schon bis zur Bühne geschafft hast. Das Schwierige ist der Weg dahin.

Maya: Ich denke, dass Frauen, die eine Begabung haben, immer einen Preis zahlen müssen. Mit ihrem Privatleben, zum Beispiel, indem sie besser nicht heiraten, besser keine Kinder kriegen sollten. Oder sie müssen wirklich hart kämpfen. Eine Frau muss wenigstens viermal besser sein, um da hinzukommen, wo ein lange nicht so guter Sänger schon steht.

Das ist in allen Bereichen des Lebens so, im Tanz auch: Eine Frau muss diesen hohen Preis zahlen, oder sie muss ihr Frausein auf eine manipulative Weise einsetzen, indem sie auf ihr Aussehen setzt. Zum Glück musste ich es nicht. Aber ich kenne viele, die diesen Preis zahlen.

Sind Sie also Feministinnen?

Maya: Alle Frauen sind Feministinnen, das ist ein natürliches Gefühl jeder Frau. Aber wir beide sind nicht politisch organisiert.

Dass Sie ein Paar sind, scheint bei Ihren Auftritten ziemlich offensichtlich zu sein. Ist das manchmal ein Problem?

Martín: Für wen denn? (beide amüsieren sich sehr)

Maya: Okay, lass uns realistisch sein: Es ist ein Reizthema, aber es hat uns nie so direkt berührt. Es ist uns noch nie passiert, dass jemand uns offen geraten hätte, dies oder das zu ändern oder wegzulassen. Aber die Flamencowelt ist eindeutig eine Männerwelt, und es hätte wirklich ein Problem werden können. Wir sind aber von unserer ersten Zusammenarbeit an ganz natürlich an die Sache herangegangen.

Martín: Das ist es, was ich die ganze Zeit sage! Die Größe der Hindernisse hängt ausschließlich von deiner Bereitschaft ab, sie anzugehen oder sie überhaupt sehen zu wollen.

Maya: Ich glaube, dass es zwei Komponenten gibt, die zu unserem Gunsten wirken. Erstens: Auf der Bühne haben wir immer das gebracht, was wir wollten, und nicht das, von dem wir dachten, dass die anderen es vielleicht sehen wollten. Das macht uns frei von der Meinung anderer, und das macht unsere Natürlichkeit aus, und so wird es auch empfunden – es gibt keinen Anlass zum Schockiertsein. Und zweitens sind unsere Arbeit und unsere Beziehung, die unsere Arbeit prägen, sehr ehrlich und unverkrampft. Bislang haben wir nur Anerkennung bekommen. Aber es stimmt natürlich schon: die Flamencowelt ist eine Mackerwelt.

Martín: Die Flamencowelt sieht nicht anders aus als die Welt um uns herum. Und es geht zu wie bei den Hunden, die die Angst riechen. Hast du Angst vor Hunden, beißen sie dich. So ist es! (beide lachen) Aber halt, ich habe nicht gesagt, dass die Flamencos Hunde sind! (mehr Gelächter)

Wie haben Sie beide sich kennen gelernt?

Martín: Ich habe sie zuerst kennen gelernt sozusagen. Es war so: Ein Kollege, ein cantaor, der weiß, dass ich nur ganz selten TänzerInnen mag, sagte zu mir: du solltest mal im Tablao von Carmen, in Barcelona, vorbeischauen. Da tritt für ein paar Tage eine Frau aus Madrid auf, die dir sehr gut gefallen wird. Ich ging hin, sah sie tanzen, und tatsächlich: Ich fand es sehr schön, sehr anders und sehr attraktiv. Später sah ich sie im Film „Flamenco“ von Carlos Saura, in dem sie einen kurzen, sehr schönen Auftritt hat.

Kurz danach, zum Festival Grec in Barcelona, sollte ich einen bailaor oder eine bailaora einladen. Ich fragte Belén, und das war dann unsere erste Zusammenarbeit, im Sommer 1997. Es machte uns beiden richtig Spaß. Und so, nach und nach und ohne es geplant zu haben, hatten wir weitere gemeinsame Auftritte. Wir weiteten unser Repertoire aus und wurden ein Ensemble.

Ihr Repertoire besteht aus traditioneller Flamencomusik. Wie setzen Sie damit eine persönliche Note?

Martín: Alles, was wir bislang aufgenommen haben, entstammt dem gängigen traditionellen und klassischen Repertoire. Da rühren wir nichts an. Wenn wir uns etwas Neues ausdenken würden, dann wäre es eben etwas Neues und keine Weiterentwicklung des Klassischen. Aber wir sind sehr empfänglich für Einflüsse und entwickeln so unsere eigene Mischung.

Maya: Sieh dir zum Beispiel die alegrías an, wie wir sie machen, genau in der Reihenfolge, wie sie sein sollen. Das gibt es recht selten heutzutage!

Auch der Tanz hat sich sehr weiterentwickelt, und kaum jemand hält sich an die klassischen Regeln. Wir schon. Und auf diese Basis setzen wir unseren Stil, der wirklich sehr persönlich ist: nicht modern, sondern eigen.

Noch eine Frage zum Schluss: Mayte Martín, von Ihnen heißt es, Sie hätten schon recht früh den Duende erreicht. Was genau ist denn mit dem „Duende“ gemeint?

Martín: Na, ein Gnom! So was Kleines, Schnelles mit solchen Öhrchen! (führt es lachend vor)

Der Duende ist, so glaube ich verstanden zu haben, die Erleuchtung. Es ist das, was einen plötzlich auf der Bühne packt: ein glückseliger, erleuchteter Zustand, in dem man die Musik in ihrer ganzen Tiefe empfindet und das auch dem Publikum weitergibt. Das ist Duende, und es ist auf alles übertragbar, was mit Kunst zu tun hat; Es muss nicht immer Flamenco sein.

Mayte Martín & Belén Maya: Freitag, 22. 8., 21 Uhr im Pfefferberg, Prenzlauer Berg