Bunker-Ziegen versus Vertriebene

Im ehemaligen Luftschutzbunker in Kreuzberg wird wohl nicht so bald das „Zentrum gegen Vertreibung“ entstehen. Der Liegenschaftsfonds hat die Sprengkraft der Debatte erkannt und will ohne Bundesentscheidung nicht über den Verkauf beraten

von JAN ROSENKRANZ

Droht eine neue Vertreibung? Wiederholt sich Geschichte? Erstens: Nicht ausgeschlossen. Zweitens: Natürlich nicht. In der Debatte um das „Vertriebenen-Zentrum“ ist alles offen und vieles möglich – auch die Vertreibung von neun Hühnern und drei Ziegen, die zurzeit noch in einem Streichelzoo leben. Doch von vorn.

In der Kreuzberger Fichtestraße steht ein ehemaliger Luftschutzbunker leer und zum Verkauf. Er ist kreisrund und geklinkert, 21 Meter hoch, 55 Meter im Durchmesser und damit groß genug für Erika Steinbach. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und Vorsitzende der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ will ebendort ein ebensolches Zentrum bauen, genauer: ein Gedenk- und Dokumentationszentrum. Kaum hatte Steinbach ihr Interesse an der Immobilie bekundet, hob die Kritik an – im Ausland, auf Bundes- und Landesebene.

Zum Beispiel Walter Momper. Der Präsident des Abgeordnetenhauses und Anwohner der Fichtestraße hält die Idee, in einem Bunker eine Vertriebenen-Gedenkstätte zu bauen, für „abwegig“. Er habe auch Probleme mit der Eingrenzung des Projekts auf deutsche Vertriebene.

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (PDS), sieht auch einigen Klärungsbedarf. Bevor sich der Bezirk positioniere, müsse es eine Verständigung mit unseren Nachbarländern geben. „So ein Projekt kann man nicht im Alleingang machen“, sagt Reinauer. Zudem werde die Immobilie vom Berliner Liegenschaftsfonds verwaltet.

Dessen Lenkungsausschuss hatte das Thema für heute kurzfristig auf die Tagungsordnung gesetzt. Am vergangenen Freitag hat so auch Finanzstadtrat Lorenz Postler (PDS), der den Bezirk im Ausschuss vertritt, von den Plänen erfahren und schon einmal vorab sein Veto angekündigt. Schließlich habe der Bundestag seinerzeit beschlossen, „dass es darüber eine Diskussion auf europäischer Ebene geben soll“, so Postler. Und die könne er noch nicht erkennen. Kurzum: Ohne europäische Diskussion werde es in Kreuzberg kein Vertriebenen-Zentrum geben.

Beim Liegenschaftsfond hat man inzwischen die Brisanz erkannt. Geschäftsführer Holger Lippmann hat den Punkt „Fichtebunker“ inzwischen von der Tagesordnung gestrichen. Seine Sprecherin, Irina Dähne, bestätigt lediglich, dass es eine Anfrage der Stiftung gebe, mehr nicht. „Wir warten die Entscheidung der Bundesregierung ab, ob Berlin überhaupt Standort werden soll“, so Dähne.

Der wissenschaftliche Beirat der Stiftung hat sich da jedoch bereits festgelegt. Nur Berlin komme in Frage. Intern diskutiere man jedoch auch andere Berliner Standorte als die Fichtestraße, heißt es aus der Stiftung.

Angesichts der enormen Sanierungskosten hat sich bislang noch jeder Interessent nach eingehender Begutachtung gegen den Fichtebunker entschieden, weiß Finanzstadtrat Postler. 1997 gab es die letzte große Investorensuche, ein Gutachten kam damals auch zu dem Ergebnis, das Gebäude müsse von Asbest befreit werden. Ursprünglich 1876 als Gasometer eingeweiht, wurde das Gebäude 1941 zum Luftschutzbunker umgebaut – dazu wurden die Wände mit bis zu drei Meter dickem Beton verstärkt. Nach dem Krieg diente es erst eine Weile als Flüchtlingslager, dann als Altenheim und zuletzt bis zur Wende als senatseigenes Lager für Lebensmittelreserven. Seit dem steht der Exbunker leer. Nur das Gelände drum herum haben vor mehr als zwei Jahren zwei Anwohner gemietet – für ihre neun Hühner und drei Ziegen. Kommt das Zentrum, müssten sie weg. Ob es kommt, weiß niemand.