Echt indische Ware

Gut gebräunte Händler bieten auf Flohmärkten Kleider aus Sari-Seide oder Silberschmuck feil. Beides kommt aus Indien. Immer mehr Berliner versuchen sich als Selfmade-Importeure der Asienklamotten

von WIBKE BERGEMANN

„Das ist ein Super-August!“, freut sich Fernando. Immer sonntags steht der Portugiese auf dem Boxhagener Platz und verkauft Sommerkleidchen aus Indien. Frauen drängeln sich vor den leichten, buntbedruckten Kleidern aus Sari-Seide. Nur 10 Euro das Stück. „Genau das Richtige bei dem Wetter“, sagt Fernando.

Knapp 3.000 Kleider hatte er von seiner letzten Indien-Reise mitgebracht. Jetzt sind fast alle verkauft, an den Ständern hängt nur noch ein Rest in Größe S. Doch egal, die Frauen wühlen zwischen den bunten Stoffen und versuchen sich in die Kleidchen zu quetschen. „Ich finde ein kaputtes Kleid pro Stunde. Die Seide reißt leicht ein“, stöhnt Fernando. Das Verkaufen auf Flohmärkten hatte er sich immer ganz romantisch vorgestellt, so ähnlich wie Taxifahren in New York. Das hat sich geändert: „Ich bin kein guter Verkäufer. Ich habe nicht genug Geduld mit den Leuten.“ Viel mehr Spaß mache es ihm, die Sachen in Indien einzukaufen: die Suche nach schönen Stoffen, das Handeln und Feilschen um einen guten Preis.

Fernando sieht aus wie das Klischee vom Indien-Hippie: lange Haare, zusammengebunden zu einem Dutt, sehr braun, sehr entspannt, sehr polyglott. Doch eigentlich ist der 43-Jährige Maler. Früher hat er kleinere Bilder und Skizzen auf Märkten verkauft, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dann merkte er, dass seine Nachbarn an ihren Ständen mit buntem Krimskrams oder Klamotten viel mehr Geld verdienten als er.

Von einer Freundin lernte er, wie das Importieren aus Indien funktioniert. Seit mehr als drei Jahren fährt er nun regelmäßig nach Indien. Anderthalb bis drei Monate bleibt er dort, um einzukaufen. Und um sich zu entspannen. „Da esse ich kein Fleisch, rauche nicht und mache Yoga. Es ist wie eine Pause von der täglichen Vergiftung, dem Stress und Konkurrenzkampf. Indien ist für mich ein sehr mildes Land.“ Zurück in Berlin wird er vom Verkauf der mitgebrachten Kleider zwar nicht reich, aber es reicht zum Leben.

Das gelingt nicht allen, die auf dem Boxhagener Platz importierte Klamotten aus Indien anbieten. Ein paar Stände weiter steht ein Langhaariger mit Brille und verkauft Hemden und bunt bestickte Röcke. Er will nicht viel sagen, außer: „Leben, nein, leben kann ich davon nicht.“ Auch Volker betreibt den Flohmarktverkauf mehr als Hobby. Den größten Teil der Woche arbeitet der 36-Jährige mit Jugendlichen. Am Wochenende stellt er sich dann mit seinem Silberschmuck auf den Boxhagener Platz, um mal was anderes zu sehen. „Wenn ich davon leben wollte, müsste ich so viel arbeiten, dann würde es mir keinen Spaß mehr machen“, sagt Volker. „Das wäre richtig anstrengend. Es gibt ja nicht jeden Tag einen guten Markt.“

Sein Silberschmuck kommt aus Indien und Thailand. Am Beliebtesten sind die Ringe und Ohrringe mit Steinen. Dazwischen liegen große Silberanhänger, die aussehen wie Schatullen: „Man braucht den einen oder anderen Blickfang. Die gehen zwar nicht so schnell weg, aber die holen die Leute an den Tisch.“ Grundsätzlich verkauft Volker nur, was ihm selbst gefällt. „Deshalb habe ich auch keine Piercings, obwohl man damit Geld machen kann.“ Auf die Idee mit dem Schmuckverkauf ist er vor zehn Jahren bei einem Thailandurlaub gekommen. „Anfang der Neunziger konnte man damit noch Geld verdienen“, sagt der 36-Jährige. Doch inzwischen sei die Konkurrenz auf den Berliner Märkten stärker geworden. „Immer mehr Leute fahren mal nach Indien und versuchen es.“

So haben manche Orte in Indien wie die kleine Stadt Puschkar in Radschastan in den letzten Jahren einen regelrechten Textilboom erlebt. Ein Textilgeschäft neben dem anderen ist hier aus dem Boden geschossen, in denen kleinere und größere Händler aus der ganzen Welt einkaufen. „Oft lassen die kleineren Händler ihre Aufträge in den gleichen Nähstuben anfertigen wie die großen Firmen“, sagt der Inder Majid Sultani, der seit 10 Jahren auf Berliner Wochenmärkten verkauft und einen kleinen Laden in Kreuzberg hat. Sultani kommt aus Kaschmir und hat sich auf Wollschals aus Nordindien spezialisiert.

Doch die Situation sei in ganz Indien ähnlich. Die großen indischen Unternehmen geben die Aufträge von internationalen Firmen an die kleinen Nähstuben weiter. Sultani schätzt, dass der Lohn, der am Ende für die Näher herausspringt, der gleiche ist, egal ob Groß- oder Kleinsthändler. Theoretisch könnten die kleinen Händler die Schneider unterstützen, weil sie direkt von der Nähstube kaufen. „Doch die Leute handeln den Preis manchmal bis zum Boden, das ärgert mich“, sagt Sultani. „Ich kenne einen Italiener, der seit 20 Jahren vom Textilhandel lebt. In Indien lebt er wie ein Pascha, und dann schimpft er, dass die Inder nie pünktlich liefern. Ich habe ihn nur gefragt, was hast du denn diesem Land gegeben?“

„Das Argument, der Handel bringe Arbeit, ist natürlich unschlagbar“, sagt Berndt Hinzmann vom deutschen Ableger der Clean-Clothes-Kampagne. „Die Frage ist allerdings, ob das Einkommen reicht, um die Grundbedürfnisse zu sichern. Das Label ‚fair’ können die Sachen wohl nicht tragen.“ Denn dazu gehört, dass ökologische und soziale Mindestkriterien nicht nur eingeführt, sondern auch kontrolliert werden. Und natürlich, dass ohne Kinderarbeit produziert wird.

Das Stichwort Kinderarbeit bringt den Flohmarkthändler Fernando auf die Palme. Oft werde er von den Kunden danach gefragt. Das hält er für sehr heuchlerisch. „Die Leuten wollen alles ganz billig haben. Dann fragen sie: Ist das auch nicht mit Kinderarbeit hergestellt? Das ist doch nur eine Pose.“ Das Problem sei viel komplizierter: Für viele Kinder sei Arbeit die einzige Möglichkeit, zu überleben. Er versichert, dass seine Sachen nicht von Kindern genäht werden.

An Fernandos Stand unterbricht eine Frau kurz ihre Suche zwischen den Kleidern: „Du schreibst über die indischen Klamotten auf dem Markt? Dann musst du auch darüber schreiben, dass die Leute, die die Sachen hier teuer verkaufen, den Schneidern in Indien nur ganz wenig Geld dafür bezahlen“, sagt sie. Und schlüpft in ein grünes Seidenkleid.