Die Mantren des Ministerpräsidenten

64 Prozent der Deutschen kennen Christian Wulff (CDU). Nicht genug, findet der niedersächsische Ministerpräsident. 20 PR-Termine in vier Tagen sind die Bilanz seiner Sommerreise durch Niedersachsen. Und Wulff schlägt sich nicht schlecht

aus dem Land des Kümmerers Kai Schöneberg

Ja, gerade in der Wesermarsch hängt vieles von der Landwirtschaft ab, sagt Christian Wilhelm Walter Wulff an diesem Abend auf dem Reiterhof in Berne, als die Bläsergruppen Stadland und Stedingen dem Ministerpräsidenten ihr Halali geblasen haben. Die Grill-Würstchen kosten nur einen Euro, CDU-Luftballons wünschen „Schöne Ferien“, fünf Bürgermeister und vielleicht 300 Gäste feiern in eine der wenigen echten Nächte des Sommers hinein. Noch ein Heimspiel für den Ministerpräsidenten auf seiner Sommertour.

„Wir kümmern uns“ war das Motto der Reise, die den Ministerpräsidenten-Tross mit den VW-Phaetons, den Bussen und den Journalisten bis gestern quer durch das Land führte, das Schwarz-Gelb bei den Wahlen im Februar 2003 im Handstreich von den Sozen eroberte. „Holländische Landwirte tragen feinste Schuhe von Puma, die dänischen Adidas“, sagt der blonde Hüne aus Osnabrück. „Nur die deutschen müssen mit Künast-Sandalen rumlaufen“. Es gibt viele Lacher und Applaus, der Ministerpräsident, kurz: MP, kommt – auch hier – gut an. Bauern-Land, CDU-Land.

Auch nach 17 Monaten im Amt erscheine er vielen Leuten als noch „neu“, hat Wulff gemerkt. Laut Umfragen kennen ihn 36 Prozent der Deutschen nicht. Immerhin heißt das aber auch, dass 64 Prozent oder gut 50 Millionen Deutsche wissen, wer Wulff ist. Etwa genauso viele kennen Sigmar Gabriel. Doch der Name von Wulffs weiter strauchelndem SPD-Vorgänger fällt in diesen Tagen kaum.

Es sind die Tage des Wiederholens, ja des Einprügelns. „Natürlich“ schielt der Mann, der derzeit als „engster Vertrauter“ von CDU-Chefin Angela Merkel gehandelt wird, „nicht nach Berlin“. Aber die gut 30 Millionen Deutschen, die ihn trotz des Sommerloch-Aufrufs zur Reform der Rechtschreib-Reform nicht kennen, sollen trotzdem bekehrt werden. Und die Niedersachsen zuerst.

20 PR-Termine in vier Tagen. Wulff verschenkt fluoreszierende Armreifen mit Niedersachsen-Ross an Pfadfinder in Wolfsburg, besucht die Porzellanmanufaktur in Fürstenberg, bestaunt die Firma des Messtechnikers Matthias Müller in Neustadt, einem „der Daniel Düsentriebe, die wir im Land brauchen.“ Wulff macht seine Sache gar nicht schlecht.

Vielleicht fröstelt es den gelernten Anwalt innerlich, wenn er sich in Steinhude an die Drehorgel schmeißt, um „Eine Reise ins Glück“ zu spielen, damit die Objektive der Kameras klicken. Und auch, wenn der Aktenfresser wenig später einem Brautpaar in der Aalräucherei „Schweer“ am Steinhuder Meer viel Glück wünscht. Oder beim Drachenboot-Fahren auf der Olle. Aber es wirkt geschmeidig statt populistisch. „Als Ministerpräsident kannst du eigentlich gar nicht abgewählt werden, wenn du keine Fehler machst“, hatte Erwin Teufel zu Wulff gesagt, als der noch als „Milchbubi“ und ewiger Oppositionsführer galt – und ihm wenig Hoffnung gemacht.

Aber die Schröders, die Glogowskis und die Gabriels machten Fehler. Fehler, aus denen der 45-Jährige gelernt hat. „Kleine Brötchen backen“, diktiert der Ministerpräsident Reportern mal wieder in die Blöcke, als er am Mittwoch in aller Frühe „Wulffis“ in der Bäckerei Hacke in Meinersen rollt. Und, dass die Zeitungen bestimmt schreiben würden, „Wulff walzt das Land platt“, weil es ein heimeliges Foto vom MP in Bäckermontur und einem Nudelholz gibt. Sollen sie doch schreiben. Soll die Oppositions-SPD doch das inzwischen 21. „gebrochene Wahlversprechen der Woche“ präsentieren, die Gewerkschaften und Verbände über das 1,9 Milliarden-Sparpaket jammern, das im kommenden Jahr in allen Bereichen über dem Land des Kümmerers niedersausen wird. „Sie haben völlig Recht. Wir müssen Prioritäten setzen“ sagt Wulff ungerührt, als das Häuflein Blinde am Donnerstagmittag bei der Eröffnung der Deutschland-Zentrale der Moneybank in Hannover demonstriert, weil ihnen die Regierung das Landesblindengeld streichen will. Und wiederholt auch hier das Mantra der Landesregierung: „Unsere finanzielle Lage lässt uns keine Alternative zum Sparen.“

So ähnlich hört es sich auch an, als ihm zwei Finanzbedienstete einen Brief überreichen, in dem sie beklagen, dass Niedersachsen als erstes Bundesland das Weihnachtsgeld für Beamte streichen will. Auch wenn er sagt, die VW-Mitarbeiter müssten einen Beitrag leisten, um die 170.000 Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, fällt eine der ewigen Wulff’schen Weisheiten: Deutschland sei im freien Fall aus dem zehnten Stock gesprungen. „Wir sind bereits im ersten und es wird höchste Zeit, den Fallschirm zu ziehen, um noch eine sanfte Landung hinzubekommen.“

Fast genau dasselbe erzählt er den Feiernden gemünzt auf die Finanzen Niedersachsens in Berne. Die Leute schlucken’s. Ja, er habe von dem Ärger um die Verwaltungsreform gehört, sagt Wolfgang Gräfe, der hier bei der Sparkasse arbeitet. Aber endlich „baut jemand die ganzen Umwelt-Vorschriften ab“, freut sich Gräfe, der auch Jäger ist. „Was die Roten und Grünen da für Millionen verpulvert haben“. Und: „Die CDU und Sander“ hätten „die Sache endlich durchschaut“.

Dass Hans-Heinrich Sander als Umweltminister auf dem Ticket der FDP reist und dass gerade dieser Liberale derzeit in Hannover als ganz besonders umstritten gilt, zeigt auch, wie fern die Landeshauptstadt für die Leute in der Etappe ist. Während es in Koalitionskreisen heißt, die Sache mit dem angeblich verschlampten Gutachten, das den Bau von Offshore-Anlagen in der Nordsee verhindern könnte, sei wohl „Sanders letzter Fehler“, lobt ihn auch der Vorsitzende des Fischereivereins am Steinhuder Meer. Wilhelm Hodann bringt sich in Position vor dem Ministerpräsidenten und liest mit zitternder Hand von einem Zettel ab, wie schön es sei, dass jetzt in Niedersachsen die Kormorane wieder abgeschossen werden dürfen. Hodann: „Ich bedanke mich dafür, dass Sie die Verordnung durchgebracht haben“. „Wer is datt dann?“, fragt indes ein Rentner, als Wulff am Nachmittag auf einem Bouleplatz die Kugel schwingt. „Ach so, von dä Ce-De-Uh – dann kenn isch den doch“, sagt der Mann aus Wuppertal. Und: „Bei uns jibbet ja die andere Clique – noch.“