Strandurlaub, mitten in der City

Er ist Bremens größter Badesee, meistgenutzte Grillfläche und weichster Fußballplatz. Er schützt den Stadtwerder vor Überschwemmung, Diebesgut vor der Polizei und Fische vor den Kormoranen. Sein Wasser ist trüb, aber beschwimmbar. Eine Exkursion vom Teerhof nach Habenhausen und zurück

Der Anfang

Beim ersten Mal müssen sie noch den Baggern weichen, beim zweiten Mal räumt der Fluss selbst ab – ohne Vorwarnung. Die Kleingärtner-Riege in Bremens Mitte, heute in badestrandnahen Parzellen sich sonnend, sie war lange Zeit nicht gut auf den größten See der Hansestadt zu sprechen. Was heißt hier See? Eine Flutrinne vom Ende der kleinen Weser auf Höhe des Kirchwegs bis oberhalb des Weserwehres wollte das Wasserwirtschaftsamt in den 50er-Jahren bauen. Das Ziel: den Stadtwerder vor Überschwemmungen schützen. Auf der für das Wasser vorgesehenen Trasse hatte der Senat schon 1933 jegliche Bebauung untersagt. Die Kleingärtner hielt das nicht fern. Zwanzig Jahre später zogen sie doch erstmals den Kürzeren: Bagger planierten eine schließlich über hundert Meter breite Wanne bis hinauf zur Erdbeerbrücke, die Sohle dichteten sie mit Klei gegen das tiefer gelegene Grundwasser ab. Am 9. Juli 1960 wurde die Wanne geflutet – der Werdersee war da.

Was ihre Hochwasserkapazität anbelangte, war die Rinne jedoch immer noch zu klein. Die Frühjahrsflut 1981 ließ daran keinen Zweifel. Tagelang pressten sich die Wassermassen vom gebrochenen Deich bei Hemelingen her unter der Erdbeerbrücke hindurch gen Werdersee, quer durch das verbliebene Parzellengebiet an dessen Ost-Ende, rissen eine Hütte nach der anderen mit sich fort. Ein Schauspiel, von der Brücke aus zu betrachten, das manchem Parzelliero die Tränen in die Augen trieb.

Abrissarbeiten waren danach so gut wie keine mehr nötig. Jahrelang blieb die künstliche Rinne trocken, das Gebiet östlich der Erdbeerbrücke, das sich die Flut genommen hatte, wurde jetzt offiziell zum See ausgebaut, die daran anschließenden Wiesen in Richtung Hemelinger Weserdeich als Überflutungsfläche angelegt. Ab Ende der 80er-Jahre ließ man die Wanne wieder voll laufen.

Bremens größtes Stillgewässer gilt – wie die Weser, aus der es sich speist – als stark nährstoffbelastet, entsprechend groß ist das Algenwachstum. Hygienische Bedenken gegen das Baden in der trüben Brühe bestehen aber keine.

Der Sportfischerverein Bremen hat den See gepachtet und dort unter anderem Hecht, Zander, Karpfen und Schleie ausgesetzt. Zahlreicher sind jedoch Flussbarsch, Brassen, Güster und Laube anzutreffen, auch Aal, Aland, Rotauge und Gründling leisten beim Baden Gesellschaft. Die Gesamtfischmenge im See wird auf knapp sechs Tonnen geschätzt. sim

Das Schiff

Funkelnagelneu steht es im frischen Sand. Stolze zehn Meter lang und sechs Meter hoch, aus massivem Eichenholz gebaut, mit Mast und Reling und Piratenrutsche. Der Bug ein bisschen niedriger für die Kleineren, das Heck so hoch, dass es erklettert werden muss. Knapp 30.000 Euro hat es gekostet, finanziert aus dem Spielplatzinvestitionsprogramm, das der Bremer Senat unlängst aufgelegt hat, um besonders frequentierte Spielplätze aufzupeppen. Die feierliche Taufe – ohne Glasscherben – erfolgte gestern Morgen. Gut 60 Namensvorschläge für das Spielschiff hatten Bremer Kinder eingereicht, das Los fiel auf „Cap Akona“. Schiff ahoi. sim

Die Harten

Kalte Füße bekommen? Ha, ich doch nicht. Immer rein da, in das dunkle, tiefe Nass. Okay, die Füße sind kalt, verdammt kalt sogar. An den Waden britzelt es ganz ungemütlich und auch auf eisgekühltes Werderseewasser, das zarte Weichteile umspült, könnte ich verzichten. Aber was soll’s, ich gehöre jetzt dazu. Zu den Harten, zu denen, die bei Wind und Wetter ins Wasser gehen, nur um sich von den Freunden auslachen zu lassen. „Du gehst im Winter in den Werdersee – so was Blödes.“

Genau, so was Blödes. So eine blöde Wette. Die bei Gewinn nicht einmal reich macht. Auch von einem Kasten Schampus war nie die Rede. Für all die blau gefrorenen Zehen, die Gänsehaut, die Angst vor Minustemperaturen, die es notwendig machen würden, ein Loch ins Eis zu hacken, das Frösteln danach, für all das würde es nur eine Einladung zum Essen geben. „Eine Sause mit allem drum und dran.“ Topp, die Wette galt. Einmal die Woche nach Feierabend, bei Wind und Wetter, einmal bis zum Hals unterduckern genügt.

Mehr muss auch wirklich nicht sein. Obwohl es empfindlich am Ego kratzt, wenn der Wettpartner doch noch härter ist als man selbst. Der freiwillig ein paar Schwimmzüge macht oder auch im Urlaub ins Wasser geht. „Ich musste einfach in die Isar springen“, heißt es dann. „Musste“, ach so, na klar, der Hitzemonat Januar. Aber an eine Verweildauer über zehn Sekunden hinaus war erst wieder ab März zu denken. Erfrischend irgendwie, und ein erhebendes Gefühl, wenn die Spaziergänger stehen bleiben und gaffen. Im Winter hat uns ja leider wegen der Dunkelheit niemand gesehen, da konnte ich mir nur selbst auf die Schulter klopfen. „Du bist ja eine ganz toughe Nuss, du.“

Eine gewisse Risikobereitschaft – die mein Naturell leider so gar nicht im Angebot hat – braucht es auch, um ohne wirklich etwas zu erkennen, ins Wasser zu gehen. „Nur nicht die Schlimmefantasien-Maschine anwerfen“, funkt die Zentrale im Minutenabstand. „Das, was gerade an deinem Oberschenkel vorbeigeglitscht ist, war nur ein Fisch.“ Nur ein Fisch?! Und wenn das nun ein Einmeter-Ungeheuer von Wels war?

Mittlerweile ist es glücklicherweise besser beleuchtet. Dafür guckt auch niemand mehr, im Gegenteil, jetzt gehen ja auch die „Weichen“ ins Wasser. Ein Grund, mit den richtig harten Sachen zu beginnen. „Wetten, dass ich nicht ins Wasser gehe?“

Eiken Bruhn

Die Kicker

Zwei Stöcke in gebührendem Abstand in den Rasen gepflanzt. Zwei Sporttaschen in gebührendem Abstand auf dem Rasen geparkt. Die Tore sind markiert, der Spaß beginnt. Jeden Samstag 14.30 Uhr, mittwochs um 18 Uhr oder am Sonntag: 11 Uhr. Bei Schnee und Tropenhitze, Regen und Sommerdürre. Ungezählte Freunde des Ballspiels feiern ihren wochentäglichen Sporttermin am Werdersee: Kickertreffpunkt Nummer 1 in Bremen. Warum? „Mensch, hier haste echten Rasen, musst dir nicht nach jedem Sturz die roten Steinchen aus’m Knie puhlen“, erklärt einer der Dribbelkönige.

Das Spielniveau der fußballernden Cliquen schwankt zwischen niederschwelligem Gedaddel, angetrunkenem Jokus und technisch beschlagener Balltreterei. Vereinskicker finden nach Training und Ligaspiel meist nicht mehr den Weg zu „diesen Kichernummern am See“, wie einer es ausdrückt. Vielfach geht es dort halt wenig männersportlich zu.

So bunt die Teams, so bunt das Regelwerk. Die einen spielen barfuß mit Plastikball, andere sind mit professionellem Stollenschuhwerk ausgestattet. Joggertreter treffen auf Badeschlappen treffen auf Dockers-Stiefel.

Gespielt wird ohne Schiedsrichter. Der Ball ist rund. Abseits gibt es nicht. Foul ist, wenn einer „Foul“ ruft. Eingeworfen wird, wenn der Ball im Gebüsch gelandet ist. Toraus und Ecke sind durchaus bekannt. Aber war das nun Pfosten oder ein gültiger Treffer? Spielentscheidende Fragen beantwortet man demokratisch: per Abstimmung. Die Begrenzungen des Bolzplatzes sind nicht definiert, sondern eine gefühlte Größe. Jeder darf so weit dribbeln wie er mag. Nur irgendwann folgt einfach kein Gegen- und Mitspieler mehr.

Gespielt wird mit fliegendem Torwart. Wenn der Konter läuft, darf der letzte Gegenspieler vor dem torhungrig Heranstürmenden den Ball in die Hand nehmen oder die geschlenzte Flanke aus der Luft pflücken.

So groß die Zahl der Werdersee-Kicker auch ist: Das Wir-treffen-uns-Samstag-14.30-Uhr-Team wird nie gegen ein anderes antreten, sondern nur miteinander spielen. Ausnahme: Die eigene Clique ist zu spärlich vertreten, um zwei Mannschaften zu bestücken. Mindestens drei gegen drei sollte es schon sein. Es geht aber auch mit 20 gegen 20. Dabei behaupten die Werdersee-KickerInnen die große Integrationskraft ihres Hobbys. Wieselflinke Kinder spielen mit den kurzatmigen Vätern und ihren sprintstarken Neu-Freundinnen. Echt kerlige Kurden und Schwarzafrikaner sind dabei. Und Opa nutzt die letzte Luft seines Lebens für kühne Flankenläufe.

Die Pässe landen leicht mal beim Gegner. Ist er doch vom Mitspieler nicht zu unterscheiden. Trikots sind unüblich, Leibchen auch. Man erkennt sich, wie man sich halt kennt. Der mit den Struwwelhaaren gehört zu uns, der mit der Halbglatze nicht.

Verpönt wird nur der allzu große Ernst: Blutgrätsche bis zum Abpfiff. Gewinnen will man trotzdem. Immer. Der Genähte muss ins Geflochtene. Auch wenn es weder Lederball noch Tornetz gibt. fis

Die Funde

Der Hinweis kam aus der Bevölkerung. „Da hat jemand ein Moped in den See gefahren“. Ein Fall für Hauptkommissar Walter Jädtke. Jädtke ist so etwas wie der Unterwasserchef der Bremer Polizei, sechs Beamte in seinem Zug haben die Zusatzausbildung zum Polizeitaucher absolviert. Beweismittel sichern, Bomben entschärfen, Leichen bergen. Letzteres kam im Werdersee zum Glück noch nicht so oft vor.

Dafür jetzt Mopeds. Fertig machen zum Tauchgang, ordnet Jädtke an. Die Beamten in den Froschanzügen gleiten ins Wasser. Die Sicht ist beschränkt, der Boden schlammig, eher spärlich bewachsen. „Da könnte ein wenig mehr Leben sein“, urteilt Jädtke.

Was er und seine Kollegen dagegen vom Grund heben, ist abenteuerlich: Fahrräder, Einkaufswagen, Reste von Motorrollern, „ein ganzer kleiner Lkw voll“, berichtet Jädtke. Einiges ist erkennbar Diebesgut, vieles längst Müll. Vor allem unterhalb der Fußgängerbrücke findet sich der Schrott. Weswegen die Polizei beim Amt für Straßen und Verkehr darauf drängt, Warnschilder aufzustellen. Groß und gelb und unübersehbar warnen sie seit letztem Sommer vor der „Lebensgefahr“ beim kühnen Sprung vom Geländer ins kühle Nass. Das ist an dieser Stelle zwar drei bis vier Meter tief. Aber der Köpfer in den rostigen Einkaufswagen – „das könnte unglücklich sein“, sagt Jädtke. sim

Die Enten

Richtige Weißbrotjunkies müssen sie schon sein, die Stockenten im Werdersee. Fast täglich erhalten sie den gefährlichen Stoff von allzu wohlmeinenden Passanten. Drehscheibe der Brösel-Szene: die Fußgängerbrücke am Deichschart.

„Die Weißbrot-konsumierende Ente wird träge, faul und süchtig“, warnt BUND-Experte Michael Abendroth. In diesem Zustand sei sie nicht mehr in der Lage, ihre natürliche Nahrung – gesundes Grünzeug aus dem Werdersee – zu verzehren. Die Folgen: fehlernährte Enten und vor allem schlechte Wasserqualität. Essen die Enten nämlich aus dem See, entfernen sie etwa genauso viel organisches Material wie sie anschließend wieder zuführen. Dieser natürliche Ausgleich fällt durch das Füttern weg. „Die sch... uns den See zu“, beschwert sich Abendroth. Derzeit sei die Situation im Werdersee aber noch unter Kontrolle.

Wilde Arten – wie etwa die Löffelente – sind gegenüber Fütterungsversuchen standhaft. Besonders suchtgefährdet sind indes die halb zahmen Stockenten. Abendroth appelliert: „Bitte nicht füttern!“ ado