Der ahnungslose Superstar

Andreas Klöden hat gute Chancen, die Tour de France morgen als Zweiter hinter Lance Armstrong zu beenden und damit seinem Kapitän beim Team T-Mobile Jan Ullrich endgültig den Rang abzulaufen

AUS BESANÇON SEBASTIAN MOLL

Angenommen, Andreas Klöden wäre Franzose. Seit 1985 gab es keinen Tour-Sieger mehr aus Frankreich, zuletzt war Richard Virenque 1997 unter den ersten drei. Als in diesem Jahr der junge Thomas Voeckler elf Tage lang in Gelb fuhr, löste schon das in Frankreich eine nationale Euphorie aus, auch wenn klar war, dass Voeckler mit dem Trikot nicht bis Paris kommen würde. Also angenommen, Monsieur Klöden hätte im Jahr 2000 die Fernfahrt Paris–Nizza gewonnen und wäre dann Olympiadritter für Frankreich geworden. Und läge jetzt, nachdem er drei Jahre mit Verletzungen gekämpft hat, auf Platz drei der Tour mit guten Aussichten, durch einen starken Auftritt beim heutigen Zeitfahren in Besançon noch Zweiter hinter Lance Armstrong zu werden. Wenn dieser Klöden am Sonntag dann die Champs-Elysées hoch und runter fahren würde, würde die Hauptstadt Kopf stehen. Er würde die Titelseiten aller Zeitungen und Zeitschriften zieren, er könnte sich vor Medienterminen und Sponsorenanfragen nicht mehr retten. Er wäre ein nationaler Superstar und hätte vermutlich für den Rest seiner Tage ausgesorgt. Und der Financier einer jeden französischen Mannschaft würde sich überschlagen, ihm eine Equipe zusammenzukaufen, die ihn im nächsten Jahr ganz nach vorne bringt.

Aber leider ist Monsieur Klöden Deutscher und fährt für das Team T-Mobile. Beim Team T-Mobile gibt es seit 1997 nur einen Tour-de-France-Star, und das ist Jan Ullrich. Seit 1997 ist Jan Ullrich in den Köpfen des deutschen Sportpublikums gleichbedeutend mit Radsport, und so schnell lässt sich das wohl auch nicht ändern. Die Außendarstellung des Teams und sein Werbewert beruht auf Ullrich, und nur weil ein anderer in diesem Jahr stärker ist, kann man das ganze teure PR-Konzept nicht einfach über den Haufen werfen.

Vermutlich ist es deshalb auch nicht so leicht, die Mannschaftsstruktur so eben mal zu ändern. In den Pyrenäen hat Andreas Klöden seinen Chef und Freund Jan Ullrich zweimal deutlich abgehängt. Bjarne Riis, der ehemalige Kapitän des Teams, meinte danach, an der Stelle der Teamleitung würde er bei T-Mobile „einige Veränderungen“ vornehmen. Doch der Sportliche Leiter von T-Mobile, Mario Kummer, wiederholte gebetsmühlenhaft, Jan Ullrich bleibe der Chef. Andreas Klöden fehle die Leistungsstabilität, war die Begründung. Dabei war es doch Ullrich gewesen, der keine stabile Leistung gezeigt hatte.

Andreas Klöden folgt seit einer Woche nach außen hin der Linie seines Arbeitgebers – was soll er auch sonst tun. Immer wieder versichert er, dass Jan Ullrich der Kapitän bleibt. Und nicht nur jetzt, auch in Zukunft, selbst wenn Klöden Tour-Zweiter hinter Lance Armstrong werden sollte, möchte er treuer Helfer Ullrichs bleiben. „Mein Ziel ist es, Jan dabei zu helfen, noch einmal die Tour zu gewinnen.“

Allerdings hatte Andreas Klöden wohl auch noch nicht die Gelegenheit, zu realisieren, welche Perspektiven ihm seine Fahrt in diesem Jahr eröffnet. Auf den vielversprechenden Start seiner Laufbahn in den Jahren 2000 und 2001 folgten zwei harte Jahre mit mehreren Bandscheibenvorfällen und einer Knieverletzung. In diesem Jahr konnte er erstmals seit drei Jahren eine Saison wirklich konsequent vorbereiten. Und so war es zu Beginn der Tour sein Ehrgeiz, ein nützlicher Mann für Ullrich zu sein.

Von der Tatsache, dass er seinen Chef überholt hat, lässt er sich bislang nicht aus dem Konzept bringen. „Ich habe keine Zeit, groß darüber nachzudenken, was das jetzt bedeutet.“ Tag für Tag seine Arbeit auf dem Rad zu verrichten, verlange seine ganze Konzentration. Das wird bis Paris so bleiben, aber vielleicht begreift Klöden ja, wenn er neben Armstrong und Jan Ullrich oder Ivan Basso am Place de la Republique auf dem Siegerpodest steht, dass er kein Helfer mehr ist, sondern nun zu den großen Stars des Radsports gehört. Und vielleicht überdenkt er, wenn die Saison zu Ende ist, die weitere Karriereplanung. „Vielleicht möchte ich mir irgendwann einmal das Ziel stecken, bei der Tour ganz oben zu stehen“, sagt er. Der Zeitpunkt liege jedoch noch in weiter Ferne. Andreas Klöden hat zwei Jahre durch Verletzungen verloren und sieht sich am Anfang seiner Karriere. Dabei ist er mit 29 Jahren im besten Alter und nur noch eine Reifenbreite vom ganz großen Wurf entfernt.

Als Ullrich in den Pyrenäen im Anstieg nach La Mongie in Schwierigkeiten war, Klöden jedoch noch mit Armstrong und Basso mithalten konnte, fragte der Deutsche Meister per Funk bei Walter Godefroot nach, was er denn nun tun solle. Weiterfahren, nicht warten, war der Befehl aus dem Mannschaftswagen. Vielleicht erinnert sich Klöden nach der Tour an diesen Augenblick. Und zieht daraus seine Lehre für seinen weiteren Weg als Radprofi.