Kein Schonwaschgang für den Kunstbetrieb

Das Leben von der Kunst und ihren Sachbearbeitern befreien? Daniel Kehlmann liest morgen im Kunstverein aus seinem Roman „Ich und Kaminski“

Sebastian Zöllner ist einer von diesen Leuten, die keinen Schatten haben, in den sie sich auch mal reinsetzen können. Kunstgeschichte hat er studiert und versucht, daraus eine Profession zu machen: „Einmal hatte ich eine Arbeit über Degas abgeben müssen. Degas? Mir war nichts eingefallen, also hatte ich alles aus dem Lexikon abgeschrieben. Nach zwei Semestern hatte ich auf Vermittlung meines Onkels die Anstellung bei der Werbeagentur bekommen, kurz darauf war der Kunstkritikerposten bei der Lokalzeitung frei geworden, und meine Bewerbung hatte Erfolg gehabt.“

Ein Auskommen findet der Streber schließlich als Freelancer. Sein Trick: „stets und in allen Dingen gleicher Meinung sein wie die Kollegen und unterdessen die Vernissagen nützen, um Kontakte zu knüpfen“. Doch jetzt hat er einen großen Fisch an der Angel, den Maler Manuel Kaminski. Alt genug, um bald zu sterben, halb vergessen, doch einst berühmt: Eine sichere Nummer für eine Künstlerbiographie, die kurz nach dessen Tod zu erscheinen hätte, wie Zöllner meint. Ich und Kaminski, das fünfte Buch des 28-jährigen Daniel Kehlmann, handelt zuerst vom Kannibalismus in den Kreisen der Kunst.

Um die begehrten Informationen über das Leben Kaminskis zu erhaschen, wird Zöllner zu dessen Schatten. Er spürt ihn in seinem Haus in den Alpen auf, trickst die wachsame Tochter aus, um den Alten allein auszuquetschen, und nutzt die erstbeste Gelegenheit, um mit ihm durchzubrennen. Weit entfernt im Norden wohnt eine totgeglaubte Verflossene des Künstlers. Da wollen die beiden hin, gleichermaßen auf der Suche nach dem wirklichen Leben hinter den Bildern, der eine, weil es seins ist, der andere, weil sich dessen Beschreibung besser verkauft als Auslassungen über Kunsttheorie. Auf der Reise, vom Autor schelmenhaft als Abenteuer gezeichnet, benutzt Kaminski den widerlich opportunistischen Biographie-Vampir zunehmend für seine Zwecke, bis er ihn schließlich vollständig umgekrempelt hat.

Wie schon in seinem letzten Roman, Der fernste Ort, geht es auch in Ich und Kaminski ums Aussteigen. Der Künstler und sein Biograph spiegeln sich ineinander, erkennen, wie sehr sich ihre Wege gleichen, wie sehr die jeweilige Position, die sie einnehmen, auf Schleimerei gegründet ist, auf Zufälle und die „richtigen“ Kontakte. Und sie werden am Ende geläutert von der fernöstlichen Einsicht, dass nur, wer sagen kann „Ich habe nichts“, alles fortwerfen kann.

Ich und Kaminski ist auch ein Künstlerroman, der das Verhältnis von Kunst und Leben für heute neu abwägt. Als „zeitgemäßer Romantiker“, wie Die Zeit den Österreicher anlässlich einer Rezension von Der fernste Ort nannte, zeigt sich Kehlmann in seinem jüngsten Roman allerdings nicht. Der Kunstbetrieb mit seinen Scharen von kenntnislosen Malern, Kritikern, Professoren und schlanken Damen, die sich bei Vernissagen an deren Schultern schmiegen, so legt er in einer furiosen Galerieszene nahe, hat die Kunst offenbar derartig beschmutzt, dass nur eine Flucht in den Tod oder ins pure Leben bleibt. Doch was soll man denn da? Als ahnte er die Leere, die dort lauert, lässt Kehlmann Zöllner am Ende doch an einem kleinen Stückchen Kunst festhalten. Christiane Müller-Lobeck

Lesung: morgen, 20 Uhr, KunstvereinDaniel Kehlmann, Ich und Kaminski, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003, 174 S., 18,90 Euro