Aktuelle Musikgeschichte

„Üb Du erstmal!“ Sagte Bernd Alois Zimmermann zu einem Cellisten, der seine Werke für zu kurz befand. Die 39- und 45-Sekünder sind nun – auf der Grundlage hervorragender Radio Bremen-Aufnahmen – als CDs erschienen, gemeinsam mit anderen Klassikern der „Neuen Musik“

„Präzis wie launenhaft, überspannt wie gläsern“: Neue Musik macht Spaß

Für die, denen die zeitgenössische Musik häufig ein Buch mit sieben Siegeln ist, seien drei brandneue CDs aus der Produktionswerkstatt von Radio Bremen empfohlen. Sie zeigen eine Vielzahl von lustvollen und anregenden Aspekten auf.

Mit Klavierwerken von Mauricio Kagel, Kammermusik von Bernd Alois Zimmermann sowie Solowerken von Hans Joachim Hespos stellt die Produzentin Marita Emigholz „Klassiker“ der Neuen Musik vor. Bei allen drei Zusammenstellungen ist eine Zeitspanne von fast 25 Jahren umrissen, was einen höchst informativen Einblick in die Musikentwicklung erlaubt.

Der 1934 in Argentinien geborene Mauricio Kagel, seit 1957 in Deutschland und besonders bekannt durch sein (meist kabarettistisch-ironisches) „instrumentales Theater“, zeigt hier in Klavierkompositionen eine große stilistische Bandbreite: Impressionistisches, Dramatisches, Witziges, Rhythmisches: In besseren Händen als denen des brasilianischen Pianisten Paulo Alvares kann man sich das kaum vorstellen. Denn der spielt, wie der Komponist verlangte: „präzis wie launenhaft, überspannt wie gläsern“.

Eine helle Freude ist die Talentprobe des 28-jährigen Bernd Alois Zimmermann (1918-1970), der mit „Capriccio“ über Volksliedthemen umwerfend einfallsreich „improvisiert“, so jedenfalls der Untertitel der streng niedergeschriebenen Komposition. Zimmermanns Bekanntsheitsgrad resultiert aus seinen großen Bühnen- und Oratorienwerken „Soldaten“ (1965) und dem monumentalen „Requiem für einen jungen Dichter“ von 1969. So schließt diese CD mit seiner eher selten zu hörenden Kammermusik regelrecht eine Lücke im Repertoire. Sie enthält weiter die Violinsonate aus dem Jahr 1951, die so ziemlich alle technischen und expressiven Möglichkeiten des Instruments erschließt, und am Ende der Verehrung für Johann Sebastian Bach eine Form gibt: B-A-C-H erscheint im Thema der Toccata. Die ungemeine Virtuosität dieses Werkes mit ihren „grausam repetitiven Figuren“ bezeichnete der fabelhafte Interpret dieser Aufnahme, Peter Sheppard Skærved, als „Bloßstellung des Ausführenden“.

Zu den Siegfried Palm gewidmeten kurzen – 35 und 49 Sekunden – Cellostudien gibt es eine berühmte Anekdote. Der Interpret soll sich mokiert haben über die Kürze der Auftragskomposition, worauf Zimmermann anwortete: „Üb Du erstmal!“. Der Interpret dieser hörenswerten Aufnahme ist Friedrich Gauwerky.

Zimmermann empfand das Komponieren von Solowerken als Herausforderung, „Werke der Einsamkeit und der Stille“ zu schaffen. Dieser Meinung mag auch der 1938 geborene (heute in Ganderkesee bei Delmenhorst lebende) Hans Joachim Hespos gewesen sein, der seine zahlreichen Solowerke jedoch weiter mit dem Aspekt der explosiven und exzentrischen Performance ausstattete. Jedes seiner Stücke ist auch ein theatrales Ereignis, das wesentlich von der Persönlichkeit der Uraufführungs-InterpretInnen geprägt wurde: Hier ist es das Hamburger Ensemble „L‘Art pour l‘Art“.

Drei CDs also, die bei all ihrer Unterschiedlichkeit eines gemeinsam haben: Es handelt sich durchweg um große Musik, die ihren Platz in der Geschichte schon gefunden hat. Und: um Interpreten der Spitzenklasse. Die Produktionen erinnern schmerzhaft einmal mehr an die kulturpolitisch nach wie vor gruselig anmutende Entscheidung, das Radio Bremen-Festival „Pro Musica Nova“ zu streichen.

Ute Schalz-Laurenze

Hans Joachim Hespos: Solowerke von 1969-1996, CPO 999890-2, Mauricio Kagel: Piano Works, CPO 999965-2, Bernd Alois Zimmermann: Kammermusik, Radio Bremen und Albedo