DIE US-KOMMISSION ZUM 11. SEPTEMBER HAT GUTE ARBEIT GELEISTET
: Mahnungen fürs Weiße Haus

Die zentrale Frage an die 9/11-Untersuchungskommission war nicht etwa, zu ergründen, ob man die Anschläge verhindern hätte können. Es ging vielmehr darum, zu ergründen, wie „9/11“ möglich wurde – und wie sich eine Wiederholung ausschließen lässt. Angesichts dessen verwundert nicht, dass der Abschlussbericht des Gremiums ein Lehrstück in politischer Aufklärung wurde. Akribisch rekonstruiert er die Verkettung von Umständen und Versagen, die zu den Attentaten führten – und leitet daraus Empfehlungen ab, wie sich die USA in Zukunft besser auf Anschläge vorbereiten können.

Wer hoffte, die Kommission werde härter mit der Regierung Bush ins Gericht gehen, verkennt ihren Auftrag. Überdies ist die Kritik deutlich genug. Das Fazit – in Bushs kurzer Amtszeit hätten die US-Geheimdienste sechsmal die Chance gehabt, die Anschläge zu verhindern, und die Irak-Besessenheit des Präsidenten habe vom Antiterrorkampf abgelenkt – spricht für sich. Kein Wunder, dass Bush das Gremium anfangs aus Angst vor politischem Flurschaden ablehnte. Seine Regierung war an Aufklärung nicht interessiert und stellte sich damit selbst ein Zeugnis politischer Unreife aus.

Umso mehr Respekt verdient die Kommission. Sie ließ sich von keinem politischen Lagern vereinnahmen. Und sie gibt dem Weißen Haus zwei Mahnungen mit auf den Weg: Erstens reicht es nicht, Terrorismus militärisch zu bekämpfen. Die politisch-sozialen Bedingungen, die den Antiamerikanismus in der arabischen Welt nähren, müssen verändert werden. Und zweitens: Wir müssen die Freiheiten bewahren, für die wir kämpfen.

Sowohl Republikaner als auch Demokraten werden nun versuchen, den Bericht im Wahlkampf zu ihren Gunsten zu interpretieren. Davon sollten sich die US-Wähler nicht beeindrucken lassen. Wichtiger ist, darauf zu achten, welcher Kandidat energisch die Umsetzung der empfohlenen Reformen einfordert, um eine weitere Tragödie zu verhindern. Sowohl die Geschichte der Kommission als auch die ersten Reaktionen auf ihren Abschlussbericht lassen darauf schließen, dass dies nicht George W. Bush sein wird. MICHAEL STRECK