Die Krise der Krisenmacher

Wie geht es weiter mit den drei Berliner Opern? Eine Podiumsdiskussion hat versucht, eine Frage zu beantworten, die niemand gestellt hat. Denn es geht ihnen gar nicht so schlecht

Die Verletzungen einer Schließung wären auf Jahre hinaus unheilbar tief

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Fachzeitschrift Opernwelt wird 50 Jahre alt. Dazu darf man ihr zweifellos gratulieren. Und ebenso zweifellos ist das Radialsystem V, beim Ostbahnhof am Spreeufer gelegen, einer der schönsten Plätze für intellektuelle Anstrengungen auf dem Gebiet der Ästhetik.

Die Einladung der Opernwelt, an dieser Stelle zur Feier ihres Geburtstages in aller Ruhe und Ausführlichkeit darüber zu diskutieren, was Opern heute überhaupt und insbesondere die drei Häuser in Berlin sind, sein könnten und sein sollten, war verlockend – und entsprechend voll der große Saal des Radialsystems. Nur ist in Berlin, wenn von der Oper die Rede ist, die Krise unvermeidlich. Unter dem unheilschwangeren Titel „Aufbruch und Ärgernis“ begann der Abend mit einer ungefähr einstündigen Rede des Chefredakteurs Stephan Mösch. Der Mann scheint in seinem eigenen Blatt nie so richtig zu Wort zu kommen und hatte deshalb viel nachzuholen. Kaum etwas hat ihm in Berlin gefallen, jener hat dieses gesagt, und dieser jenes, weswegen Schlimmes zu befürchten sei, wenn Barenboim, und Flimm, und jetzt Homoki …

Danach sollte auf dem Podium diskutiert werden, nur wusste niemand mehr, worüber. Über das Geld, die Kunst, die Politik? Gerard Mortier, der stets erfolgreiche Chef mehrerer Opernhäuser, zurzeit der beiden von Paris, meint, dass man auch die Staats- und die Deutsche Oper zusammenlegen müsse. Seit Jahren rechnet er vor, dass sich nur so mit dem unvermeidlich knappen Geld des Steuerzahlers ästhetisch anspruchsvolle Aufführungen in hinreichender Zahl produzieren ließen. Natürlich hatte Mortier damit schon immer recht, aber auch er weiß inzwischen so gut wie jeder andere, dass diese Forderung in Berlin unerfüllbar ist. Fast am Ende des qualvollen Abends brachte die als Vertreterin der Regierung eingeladene Leiterin der Senatskanzlei, Barbara Kisseler, das Problem auf den Punkt: „Politisch überlebt das keiner.“ Wahrlich keine neue Erkenntnis, nur der Opernwelt muss man offenbar immer noch erklären, dass die drei Berliner Opern keiner Laune von Politikern und Intendanten entsprungen sind. Sie sind das Ergebnis der Wiedervereinigung Deutschlands. Deswegen ist ihre pure Existenz ein Politikum ersten Ranges. Sie verkörpern wie keine andere öffentliche Einrichtung das kulturelle Selbstbewusstsein beider Teile der ehemals geteilten Stadt. Die Verletzungen einer Schließung, egal ob an der Bismarckstraße oder Unter den Linden wären auf Jahre hinaus unheilbar tief – und das zu Recht. Denn es gehört zu den fundamentalen Eigenheiten dieser Kunstform, dass sie der – möglichst glanzvolle – Ausdruck des eigenen Werts und kulturellen Status ist. Das war so bei Hofe und erst recht unter den Bürgern, die sich dieses Mittel mit Macht erobert haben.

Daher sind Opernaufführungen immer symptomatisch und Opernhäuser ohne latente Krisen gar nicht möglich. Sie leben davon, jederzeit scheitern zu können, nur war davon an diesem Abend des Krisengeschwätzes nicht die Rede. Stattdessen die Wiederholung des Altbekannten. Denn natürlich ist ebenso wahr, das dass Geld hinten und vorne nicht reicht. Aber es reicht auch nicht für die Kindergärten und muss trotzdem irgendwie aufgebracht werden. (Der Opernwelt sei gesagt, dass wir tatsächlich in der kapitalistischen Klassengesellschaft leben, die Opernregisseure gerne kritisieren.)

Daraus ergeben sich eine Reihe bekannter Fragen. Ist die Stiftung, die gegründet wurde, um den Betrieb zu rationalisieren, sinnvoll? Nein, aber besser als nichts. Sollten die Spielpläne besser abgestimmt werden? Ja. Sollten die drei Häuser sich auf bestimmte Sparten festlegen? Nein, Kunst muss frei sein: Vier volle Stunden lang mühten sich Jürgen Flimm für die Staats-, Kirsten Harms für die Deutsche und Andreas Homoki für die Komische Oper, zu erklären, was längst selbstverständlich ist. Klaus Zehelein, Präsident der Bayerischen Theaterakademie, mahnte knorrig zum Dialog der drei Intendanten, der wirklich konstruktiver und fruchtbarer sein könnte als heute. Eine Krise jedoch sieht anders aus. 800.000 Zuschauer hatten die drei Berliner Opern im letzten Jahr. Mortiers Opern kamen auf über eine Million, aber in Paris leben 10 Millionen Menschen, in Berlin dreieinhalb.

Die Deutsche Oper kann sogar einen Auslastungsrekord vermelden, trotzdem ist der bis 2011 befristete Vertrag mit Kirsten Harms bisher nicht verlängert worden. Nicht alles, was sie sich guten Willens vornahm, hat überzeugt. Die Existenz ihrer Oper steht deswegen nicht auf dem Spiel, der Senat wird die Defizite, die sich nach ihrer Rechnung aus den Lohnerhöhungen für das technische Personal ergeben, am Ende ausgleichen. Die besseren Karten hat sie, denn Klaus Wowereit weiß sehr genau, dass er vielleicht Tempelhof schließen darf, aber niemals die Oper an der Bismarckstraße.