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: HELMUT HÖGE über Landarbeit

„Der aufrechte Gang wird zuerst gekrümmt!“ (mexikanischer Erdbeerpflücker)

Mein Leib- und Magenblatt ist nicht etwa Der Rote Hausmeister, sondern Der Säemann, denn meine Melancholie geht auf die Landwirtschaft (zurück). Und Der Säemann ist das Zentralorgan der Landarbeitergewerkschaft. Diese feierte gerade in der Zitadelle Spandau ihr 100-jähriges Bestehen. Viele Prominente gratulierten. Die Landarbeitergewerkschaft ging 1996 in der IG BAU (Bauen Agrar Umwelt) auf. Wie deren Vorsitzender Klaus Wiesehügel hervorhob, sei auch sein Vater Bauer gewesen, da der Hof aber zu klein war, sei er selbst Bauarbeiter geworden. Wiesehügel nahm damit die Entwicklung der Landarbeiter und ihrer Gewerkschaft quasi persönlich vorweg. Seit Einführung der Elektronik und der Massenarbeitslosigkeit geht es andersrum: Die nunmehrige „Fachgruppe Landwirtschaft“ in der IG BAU zog auf der 100-Jahres-Feier eine „erfreuliche Bilanz“: 2008 wurden über 200 neue Mitglieder hinzugewonnen.

Der Hintergrund dafür ist natürlich alles andere als erfreulich: Immer mehr Hartz-IV-Empfänger werden vom Staat gezwungen, sich als Erntehelfer zu verdingen! Und weil sie so billig sind, steigt der Anbau von nur mit Chemie profitablen Monokulturen. So beschäftigt allein die Firma des „norddeutschen Salatkönigs“ Rudolf Behr 6.000 Erntehelfer. Die Landarbeitergewerkschaft hat erreicht, dass diese Saisonarbeitskräfte ab 2009 Tariflöhne bekommen: bis 5,55 Euro pro Stunde im Osten bis 5,70 Euro im Westen, ab 2011 einheitlich 6,10 Euro.

Damit „ist das Ende der Hungerlöhne in der Landwirtschaft absehbar“, freute sich der für die Landarbeiter in der IG BAU zuständige Vorsitzende Hajo Wilms. Die ganzjährigen Landarbeiter sind vor allem in landwirtschaftlichen Lohnunternehmen tätig, die laut Der Säemann „wachsen und gedeihen“, was heißt, das immer mehr Bauern ihre familialen Landwirtschaften aufgeben. In Ostdeutschland kommen viele Agrarbetriebe auf über 2 Millionen Euro Umsatz im Jahr, schreibt Der Säemann, um damit anzudeuten, dass auch dort ein Tarifvertrag für die Beschäftigten überfällig ist. Aber der Arbeitgeberverband dieser „überstundenträchtigen Branche“ und die Landarbeitervertretung in der IG BAU liegen bei ihren „Forderungen noch weit auseinander“.

2 Millionen Umsatz ist aber unter Umständen auch nicht viel. Die kleine taz macht allein mit ihrem Online-tazshop fast 1 Million. Und dann investiert sie statt 450 Millionen Euro jährlich in neue Maschinen (wie die Agrarunternehmen es tun) bloß 45 Euro jährlich – etwa in eine Maschine, die das Füllmaterial für die Versandpakete zerknüllt. Fragwürdig ist auch die gemeldete Steigerung „im Bereich der Biobranche“, wo über 200.000 Menschen arbeiten, davon jedoch nur 41.600 wirklich auf dem Feld, der Rest ist im Handel tätig – und nicht selten steht hinter diesen „Bioverkäufern“ der Zwang, mangels Alternativen auf dem Arbeitsmarkt sich als hoffnungslos überqualifizierter Biosupermarkt-Kassierer verkaufen zu müssen.

Auch ganz grundsätzlich ist die sich immer weiter ausdehnende Kluft zwischen Produzent und Konsument von Übel: Es gilt eher, den gesamten Zwischenhandel abzuschaffen, der den Großteil der (Nahrungsmittel-)Profite „erwirtschaftet“. „Das kapitalistische System setzt die radikale Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit voraus … Die Expropriation des ländlichen Produzenten, des Bauern von Grund und Boden bildet die Grundlage des ganzen Prozesses“, schrieb Karl Marx. Laut der Historikerin Rita Gudermann war es die gewaltsame Zerschlagung des Gemeindeeigentums (Allmende), die einen Binnenmarkt schuf, der die Bevölkerung in Konsumenten und Produzenten aufspaltete – auch auf dem Land, das heißt, es entstanden dort wenige reiche Bauern und viele landlose Arme. Friedrich Engels prophezeite bereits, dass auch die wenigen dabei übrig bleibenden großen Bauern schließlich Agrarindustrie-Aktiengesellschaften weichen werden.

Für die deutsche Landarbeitergewerkschaft ist diese letzte Etappe im Bauernlegen und die gleichzeitige Vertreibung des städtischen Proletariats aufs Land, um sich dort als Erntehelfer zu verdingen, natürlich nur positiv. So hob dann auch ihr Säemann bei der „Grünen Woche“ 2009 die von Besuchern geradezu umlagerte Schau „LebensTraum Dorf“ besonders hervor.