die jazzkolumne
: Der Streit um den Jazz-Publizisten Stanley Crouch

Free at last?

Auch vierzig Jahre nach „I have a dream“ sind die Dinge nicht im Lot. Als der schwarze Publizist Stanley Crouch kürzlich in einem Newsweek-Online-Essay erklärt, warum er von der Zeitschrift Jazz Times als Kolumnist gefeuert wurde, ging es immer noch um die gleiche Problematik.

Nat Hentoff, der weiße Politkommentator der Village Voice, hat ebenfalls eine Kolumne im führenden US-Jazzmagazin. Auf der Jahresversammlung der amerikanischen Vereinigung der Jazzjournalisten, die im New Yorker Club des Bluesmusikers B. B. King stattfand, sagte er, dass Crouch mit seiner umstrittenen Jazz Times-Kolumne „Putting the white man in charge“ genau das thematisiert, was die Chefredaktion der Jazz Times dann kurz darauf praktiziert habe. Crouch hatte – milde ausgedrückt – einigen weißen Kritikern vorgeworfen, dass sie ihre Rebellionssehnsucht auf die afroamerikanische Kultur projizierten. Die weißen Run-away-middle-class-boys meinten es eben nicht ernst mit ihrer Würdigung der schwarzen Kultur, ja, schlimmer noch: Sie strebten nach Kontrolle über ihre Protagonisten.

Crouchs Kritik am weißen Kritikerestablishment im Jazz, das untereinander Absprachen darüber treffe, welcher weiße Künstler als Nächstes zu hypen sei, während schwarze Jazzer zunehmend ignoriert würden, hat Kreise gezogen, die weit über den Jazz hinausreichen. Nicht nur Newsweek und Washington Post berichteten – der junge Village Voice-Autor Daniel King geriet mit seiner Reportage über den Fall Crouch sogar derart zwischen die Linien, dass er jüngsten Berichten zufolge selbst gefeuert wurde.

Vor fünfzig Jahren hatte Adorno in einer Auseinandersetzung mit Joachim-Ernst Berendt, die in der Zeitschrift Merkur abgedruckt wurde, schon auf das Problem, von dem Crouch heute spricht, hingewiesen. „Der Jazz ist schlecht“, schrieb Adorno im Sommer 1953 offensiv gegen das von Berendt favorisierte Protestimage des Jazz, da er die amerikanischen Schwarzen in die Schranken kollektiver Identität verweise. Der Jazz könne vielleicht der Sehnsucht der Fans nach etwas anderem genügen – die Schwarzen jedoch nur beleidigen, da er sie zur ständigen Erinnerung ihres Sklavendaseins zwinge.

So ähnlich argumentiert Crouch seit Mitte der Achtzigerjahre, wenn es um die Festschreibung des Jazz als Black Music und nicht, wie er es gerne hätte, als American Music, geht. Die Sehnsucht der Fans nach etwas anderem kommt da nur erschwerend hinzu.

Der Leiter der 50. Biennale in Venedig, Francesco Bonami, verweist im Zusammenhang mit dem diesjährigen Thema „Dreams and Conflicts“ noch auf einen anderen Punkt. Martin Luther King habe eine Gesellschaft gewollt, in der die Freiheit des Individuums an oberster Stelle stehe. Der Traum der Biennale sei mal gewesen, so Bonami, dass die Künste eine universelle Sprache repräsentieren könnten. Stattdessen jedoch, auf der Suche nach nationaler Identität: Konflikte, wohin man auch schaut. Aber auch die Hoffnung, dass die Kraft der Kreativität zumindest eine symbolische Grundlage für Konfliktlösungen sein möge. Bei Wynton Marsalis heißt das, bezogen auf den Jazz: die Restdifferenz zwischen Schwarzen und Weißen möge sich im Amerikanersein auflösen.

Im „Safe House“ des New Yorker Künstlers Fred Wilson, der die USA offiziell bei der diesjährigen Biennale in Venedig vertritt, liegt eine CD des vor zwei Jahren verstorbenen Saxofonisten Joe Henderson aus. Der Titel von Wilsons Biennale-Arbeiten, die noch bis zum 2. November im USA-Pavillon zu sehen sind, könnte auch zu einer Henderson-Komposition passen: „Speak of me as I am“.

Er gehörte zu der schwarzen Musikerszene, die durch die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger politisiert wurde. Als Kampfmittel wählte er Plattentitel wie „Power To The People“ und „Black Is The Color“. Viel später dann war Joe Henderson – nicht zuletzt dank einer neuen Aufmerksamkeit für den Jazz durch Musiker wie Wynton Marsalis – plötzlich wieder in aller Munde. Nach zwölfjähriger Studiopause gelang ihm ein in der Jazzgeschichte beispielloses Comeback.

Angesichts der großen Medienaufmerksamkeit blieb Henderson skeptisch. Er hielt überhaupt nichts vom Hype und glaubte auch nicht, einem Wynton Marsalis etwas schuldig zu sein. Für ihn kam der Retro-Jazz der Neunziger mit einem neuen Konservativismus einher, der ihm zutiefst zuwider war. Denn Henderson gehörte zu der Generation afroamerikanischer Künstler, die den Niedergang der Black Community und ihrer blühenden Kultur zwar hilflos und wehmütig kommentierten, die sich jedoch von den schwarznationalistischen Dealern ebenso fern hielten wie von den egozentrischen Universalisten.

CHRISTIAN BROECKING