Schnee im Café Deutschland

Jörg Immendorff, gerade mitten im Koksskandal, halten viele für den bedeutendsten deutschen Künstler

Selbst wenn sie in seiner Zeichnung nicht so hübsch aussah wie auf den Millionen Fotos, die von ihr kursierten: Man erkannte Diana, Princess of Wales, durchaus auf dem Titelbild der taz am Tag ihrer Beerdigung, dem 6. September 1997, das von Jörg Immendorff stammte. „Oh, das ist gemein, aber ich male immer Selbstporträts“, meinte er. Also sah Diana ein bisschen fertiger, aber auch ein bisschen verwegener und gewissermaßen unrasierter als gewöhnlich aus. Was ihr nicht schlecht stand, auch aus vielen, in der Boulevardpresse breit dargestellten Gründen.

Jetzt aber ist es der Maler selbst, der ins Visier ebenjener Presse gerät. Mit rund elf Gramm Koks und gleich neun Gespielinnen traf die Polizei bei einer Razzia am Samstag den Maler in seiner Suite im Steigenberger Parkhotel in Düsseldorf an. Ein Szenario, das beim geneigten Leser Anlass zu den schönsten Blütenträumen geben dürfte, die männliche Potenz betreffend, zumal im sechsten Lebensjahrzehnt. Von wegen „Männerdämmerung“, von der zuletzt so viel gesprochen wird. Freilich, eine Art von Immendorff-Dämmerung wird es geben. Gerhard Schröder, den Immendorff bei Staatsbesuchen begleiten und für die so genannte Ahnengalerie der bisherigen Bundeskanzler porträtieren durfte, wird wohl auf Distanz gehen müssen.

Doch nicht nur ihm gilt der 1945 in Bleckede bei Lüneburg als Sohn eines Offiziers geborene Künstler als einer der bedeutendsten zeitgenössischen deutschen Maler. Auch das Monterrey Museum in Mexiko sah das so und bedachte ihn 1997 mit dem Marco-Preis, dem mit 250.000 Dollar höchstdotierten Kunstpreis der Welt. Weitere Belege sind Immendorffs Teilnahme bei der documenta und der Biennale in Venedig, seine Mitgliedschaft in der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Salzburg und der Bundesverdienstorden 1998.

Wie kein anderer habe Immendorff, so hieß es anlässlich seiner letzten großen Einzelausstellung in der Kestner Gesellschaft in Hannover vor drei Jahren, „deutsche Geschichte und deutsche Kultur beleuchtet, kommentiert und interpretiert“. Das war dann Anlass auch für Bild, ihm eine Seite zur Verfügung zu stellen. Doch Immendorffs künstlerische und politische Auseinandersetzung mit Deutschland war keineswegs so staatstragend, wie die Bild-Aktion vermuten ließ. Zwar hieß seine erste Einzelausstellung 1966 „deutsch, deutsch, deutsch“, doch schon die nächste kündete von „vietnam, vietnam, vietnam“. Und der subkulturelle Trampelpfad eines künstlerischen Dialogs, den Immerdorff mit seinem DDR-Kollegen A. R. Penck 1977 betrat und der in einem „deutsch-deutschen Vertrag“ mündete, war nie als Triumphweg in die Einheit visioniert. So wie im Nachhinein sein großer Bildzyklus „Café Deutschland“ (1977–1983) interpretiert wurde. „Ich wollte den Penck agitieren“, sagt Immendorff, der damals als Mitglied der KPD/ML noch sehr konkret an der Klassenfront arbeitete – von 1968 bis 1980 als Kunsterzieher in einer Düsseldorfer Hauptschule. Doch Mitte der 80er-Jahre verlässt er erst einmal das politische Kaffeehaus, um in Hamburg-St. Pauli das „La Paloma“ aufzumachen. Eine Lektion im realen kapitalistischen Wirtschaften, mit ihren St. Pauli adäquaten Verführungen, die die These von der Sublimationsleistung Kunst nun Lügen straft. BRIGITTE WERNEBURG