literatur, residenz etc.
: Massimo am Bosporus

In Zeiten, in denen es in den deutsch-türkischen Beziehungen eher mau als optimistisch zugeht, wollte Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seinem Auftritt vor der Türkischen Gemeinde in Berlin wenigstens eine erfreuliche Nachricht verkünden: Das Goethe-Institut wird Träger der neuen deutschen Kulturakademie in Istanbul. Es ist zwar seit Längerem geplant, und auch vom Haushaltsausschuss des Bundestages ist bereits finanziell bewilligt, dass auf dem Gelände der früheren Sommerresidenz des deutschen Botschafters im Istanbuler Vorort Tarabiya eine Kulturakademie eingerichtet wird, doch bislang war unklar, wer die Trägerschaft übernehmen würde.

Wesentlicher Zweck der Kulturakademie wird es sein, Künstlern aus Deutschland die Möglichkeit zu bieten, mit einem Stipendium bis zu einem Jahr in der türkischen Metropole zu verbringen. Vorbild ist die Villa Massimo in Rom, in der bereits seit Langem deutsche Stipendiaten einen gepflegten Italienaufenthalt genießen können.

Steinmeier hofft, dass bereits 2010, wenn sowohl Essen als auch Istanbul jeweils europäische Kulturhauptstädte werden, die ersten Künstler in Tarabiya einziehen können. Das Gelände ist eine wunderbare Parklandschaft direkt am Bosporus – ein Geschenk des Sultans Abdülhamit an Kaiser Wilhelm II., das ursprünglich dazu diente, dem deutschen Botschafter die Wochenenden zu versüßen. Doch seit dem Untergang des Osmanischen Reiches und der Gründung der Türkischen Republik 1924 residieren die Botschaften ja bekanntlich in Ankara. Das Gelände mitsamt seinen schmucken weißen Holzvillen verfiel in einen Dornröschenschlaf, aus dem es erst in den letzten Jahren langsam wieder erwachte. Der frühere Außenminister Fischer wollte die Immobilienperle angeblich am liebsten verkaufen, doch das ist mit dem Schenkungszweck unvereinbar, und es drohte ein Rückfall des Geländes an den türkischen Staat.

Seitdem wurde das Haupthaus zu einem Ort der deutsch-türkischen Begegnung erklärt, und in eines der Nebengebäude zog die deutsch-türkische Industrie- und Handelskammer. Das Orientinstitut wird bald folgen. Den deutsch-türkischen Beziehungen wird es sicher sehr guttun, wenn dann hoffentlich einmal aus einer literarischen Perspektive über Istanbul und die Türkei geschrieben wird, statt zum tausendundeinsten Mal über Integrationsprobleme zu diskutieren. Der Einzige, der mit der jetzt beschlossenen Zukunftsperspektive für Tarabiya vermutlich nicht so glücklich ist, ist der deutsche Konsul in Istanbul. Denn solange der Botschafter in Ankara blieb, konnte bislang der Konsul seine Wochenenden in Tarabiya verbringen. Und dort ist es dann vielleicht nicht mehr ganz so ruhig und abgeschieden. JÜRGEN GOTTSCHLICH