Umbruch auf hohem Niveau

Bayer Leverkusen hat fast die gesamte Führungsetage ausgetauscht. Vor allem der Verlust von Rainer Calmund schmerzt. Führungsspieler Lucio ging ebenfalls. Die Ziele sind dennoch ehrgeizig

Ohne Calli und Lucio will der Werksclub Platz drei aus dem Vorjahr bestätigen.

AUS LEVERKUSENERIK EGGERS

Die 42. Bundesligasaison liegt noch fern, aber die Messer sind bereits gewetzt in den Redaktionsstuben der Boulevardmedien des Sports. Das ungewisse Jahr eins nach Reiner Calmund, dessen ist sich Wolfgang Holzhäuser bewusst, wird Schwierigkeiten mit sich bringen. Anfang Juni ist die Inkarnation Bayer Leverkusens Knall auf Fall zurückgetreten, und natürlich werden nun alle Beobachter Holzhäuser, der jetzt allein die Geschäfte, die Bayer-Fußballtochter führt, an den unbestrittenen Erfolgen des schwergewichtigen Managers messen. Und dabei wird keine Rolle spielen, dass sich die Zeiten geändert haben, nach dem Einbruch der TV-Einnahmen. Der heißen Konjunktur, in der Calmund mit dem vielbesungenen Geldkoffer die besten Profis der Liga unter das Bayer-Kreuz lotste, folgten auch in Leverkusen nüchterne Zahlen. Konsolidierung und Verschlankung , so hießen die Zauberwörter in den letzten Jahren. Der teuerste Einkauf heuer war Paul Freier, der für 2,75 Millionen Euro vom VfL Bochum kam. Der Vergleich mit Calmunds Ära, eigentlich hinkt er. Doch wird dieses Gespenst dem neuen Chef stets im Nacken sitzen, allein schon, weil Calmund bei den Heimspielen nun ein paar Sitzreihen hinter ihm thront. „Wenn die Mannschaft keinen Erfolg hat, wird man kritisiert, so ist das Geschäft,“ formuliert es Holzhäuser neutraler.

In der Führungsebene des Klubs hat sich extrem viel getan, so viel wie bei keinem anderen Klub in der Liga. Neben dem Monolith Calmund ist auch Ilja Kaenzig, der eigentlich als dessen Nachfolger aufgebaut worden war, nach einem seltsamen Verhandlungspoker gegangen; heute profitiert Hannover 96 von der weltweiten Vernetzung des blutjungen und sprachbegabten Schweizers. Und auch das formidabelste Missverständnis der Vergangenheit, Sportdirektor Jürgen Kohler, ist mit einer Millionenabfindung gegangen. Jetzt sollen es die Anderen richten, etwa Teambetreuer Hans-Peter Lehnhoff, und auch die Kompetenzen des Trainers Klaus Augenthaler wurden erweitert. „Die Zeit der One-Man-Show“, sagt Holzhäuser, sei ohnehin vorbei. Außerdem berühre all das ja nicht die Leistungen der Profis: „Wenn ich mich recht erinnere, hat Reiner Calmund im Verlauf seiner Karriere noch kein Tor für Bayer Leverkusen geschossen.“

Die Saisonziele sind zwar gesteckt, Augenthaler etwa hat die 65 erzielten Punkte aus der letzten Saison als Ziel ausgegeben, und Holzhäuser wäre mit einem Uefa-Cup-Platz zufrieden. Aber nach dem Weggang Bastürks und dem Verkauf von Weltmeister Lucio, dessen Präsenz, Kampfgeist und Wucht viele Leverkusener Siege sichern half, wäre eine Bestätigung des dritten Platzes aus dem Vorjahr nach allgemeiner Expertenmeinung doch eine veritable Überraschung. Irgendwie mag keiner glauben, dass der Sturm Franca/Berbatov seine sensationellen Scorer-Zahlen aus dem Vorjahr zu wiederholen vermag. Und die Auftritte der Leverkusener Akteure bei der EM in Portugal ließen Böses erahnen: Berbatov verhungerte im bulgarischen Angriff, Nowotny und Schneider außer Form, und der Schwede Teddy Lucic spielte als Außenverteidiger eine grauenvolle erste Halbzeit gegen Bulgarien. Holzhäuser will das nicht zum Maßstab nehmen: „Nach der WM 2002 kamen alle euphorisch zurück, waren aber physisch am Ende“, jetzt seien alle eher ausgeruht, und die psychologische Arbeit werde Augenthaler „schon richtig machen“.

Die größte Sorge bereitet indes die Defensivabteilung. Mittelfeldmann Carsten Ramelow, die stets unterschätzte Seele des Teams, ist immer noch angeschlagen (Achillessehnenprobleme), Nowotny hat sich kürzlich eine Schraube aus dem Knie entfernen lassen, Clemens Fritz, eigentlich für die rechte Abwehrseite vorgesehen, brach sich in einem Testspiel das Wadenbein, Juan und Placente sind immer noch bei der Copa America im Einsatz. Dazu ist Weltmeister Roque Junior, noch kurzfristig verpflichtet, konditionell nicht auf der Höhe (Augenthaler: „Die Brasilianer laufen nicht so gerne“). Dem Mannschaftsteil fehlt jeglicher Aufbau.

Selbst die hoffnungsvollen Leistungen des erst 19jährigen Innenverteidigers Jan-Ingwer Callsen-Bracker, der aus der eigenen Jugend kommt und beim Ligapokal-Auftakt gegen Rostock ein grandioses Tor schoss, vertreiben nicht die Sorgenfalten. „Callsen-Bracker“, ist Holzhäuser zwar überzeugt, „wird irgendwann in die Fußstapfen eines Jens Nowotny treten“, und auch Augenthaler lobt den Teenager sehr. Aber: Für den Anfang der Saison, in der auch die Champions League-Qualifikation geschafft werden soll, „werden wir hier auch ein wenig Glück brauchen“, räumt Holzhäuser ein. Pech, Glück – das sind freilich Kategorien, mit denen sich die Öffentlichkeit kaum zufrieden geben wird. Das Gespenst namens Calmund, es lauert schon.