Der Berufsevolutionär

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Jürgen „Jumbo“ Trittin

Längst hat er die objektive Realität mit Löffeln gefressen

Manchmal ist Politik ein Porzellanladen voller Ideale, in dem am Ende kein Elefant auf dem anderen bleibt. So manche junge Blüte erweist sich als tote Ente, und immer wieder zeigt sich, dass hohe Trauben erstaunlich kurze Beine haben. Einer, der das an der eigenen Nase erfahren musste, ist Jürgen Trittin, der einst die Rollbahn der Revolution mit den Köpfen und Kniescheiben der Herrschenden pflastern wollte und heute als sauberer Bundesminister mit grüner Weste höchstpersönlich die Sumpfblumen des Kapitalismus im Knopfloch trägt.

Schon als Schüler in Bremen, wo er am 25. Juli 1954 nach neun Monaten konspirativer Zellentätigkeit die Welt zu agitieren begonnen hatte, entwickelte er eine emsige revolutionäre Aktivität, legte im Schulbus die Füße auf die Sitzbank gegenüber, kippelte während des Unterrichts mit dem Stuhl und schrieb die Hausaufgaben vom Primus ab. Stürmisch propagierte er, die Lehrer aufs Land zu verschicken, die Streber zu freiwilligen Ernteeinsätzen abzukommandieren und die Versetzung statt von guten Noten von der Einhaltung der richtigen Linie im Klassenkampf abhängig zu machen. Als Lohn dieser progressiven Aufklärungsarbeit konnte er 1973 das Abiturzeugnis in Empfang nehmen. Anschließend bewies Genosse Trittin, dass er das dialektische Denken nicht nur in seinem Kopf beherrschte, und meldete sich als Schütze Rotarsch zur Bundeswehr, um sich vom Klassenfeind im Gebrauch von Maschinengewehren, Panzern und U-Booten unterweisen zu lassen. Als er nach einem halben Jahr hinlänglich über die verschiedenen Möglichkeiten, die Ausbeuterklasse zu durchlöchern, zu zermatschen und zu ersäufen, unterrichtet war, verließ er die Uniform eines Rekruten des Kapitals und ging als Zivildiener an ein Heim für Jungen, um sein Wissen an die revolutionäre Jugend weiterzugeben.

In Göttingen, wo er danach das Studium der Sozialwissenschaften aufnahm, schloss sich Trittin der Linken Liste und dem Kommunistischen Bund an und riss der reaktionären Professorenschaft die Maske vom Arsch. Er wurde AStA-Referent für den bewaffneten Kampf, Volkskommissar im Fachschaftsrat Sozialwissenschaften und Generalsekretär des Studentenparlaments und ließ keinerlei Fraktionsbildung zu. Ende der Siebzigerjahre erkannte Trittin im Anschluss an eine Analyse der Realität, dass an die Stelle des unversöhnlichen Klassengegensatzes zwischen Mensch und Bourgeoisie der Antagonismus Staat–Natur getreten war. Trittin gab Sonne, Wald und Erde den Bruderkuss, schmiedete ein breites Aktionsbündnis von Flora und Fauna und gründete eine Grüne Zelle in Göttingen. 1982–84 pflanzte er sich als Geschäftsführer der Grünenfraktion in die Göttinger Ratsversammlung ein, rankte sich 1984 in den niedersächsischen Landtag empor, knospte 1990–94 zum Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, reifte 1994–98 als Sprecher des grünen Bundesvorstands aus, ließ sich 1998 in den Bundestag umtopfen und schoss vom selben Jahr an als Bundesumweltminister endgültig nicht mehr auf die Kapitalisten, sondern ins Kraut.

Jürgen Trittin lernte, seinen Hahn nach dem Wind zu richten, aber die strategische Einheitsfront mit den fortschrittlichen Kräften des imperialistischen Bürgertums unter Gerhard Schröder zwang ihn auch, manchen Widerhaken zu schlucken. Schon die Niedersachsen-Grünen ließen mit zuckenden Achseln die Asphaltierung des Emslandes zur Mercedes-Teststrecke zu, und billigten mit gerunzeltem Gehirn die Vertiefung der Ems, damit die Schiffe der Meyer-Werft in Papenburg auf feuchten Füßen die See erreichen können. Als Bundesminister musste Trittin die fertige EU-Altautoverordnung auf Geheiß eines VW-Agenten im Kabinett an seinen Hamster verfüttern, einen Kompromiss mit den Volksschädlingen der Atomwirtschaft schließen und eine Niederlage im Emissionskampf hinnehmen.

Doch seine Erfolge lassen sich schmecken. War die Luft früher so dick, dass man sie kauen musste, und das Wasser so schmutzig, dass man es nur mit Messer und Gabel essen konnte, so leuchten sie heute rein und klar wie Kinderaugen dank Trittins Politik der rücksichtslosen Säuberungen. Er liquidierte mithilfe des Dosenpfands die parasitäre Klasse der Einwegflaschen, trieb durch sein Naturschutzgesetz die Kollektivierung der Natur voran und hob durch die Förderung erneuerbarer Energien den Stand der Produktivkräfte auf eine neue Stufe. So träumt sein Kopf insgeheim weiter den sozialistischen Traum von der mit Kapitalistenfett beheizten humanen Gesellschaft. Aber ebenso hat Trittin längst die objektive Realität mit Löffeln gefressen und sich vom roten Revoluzzer in einen grünen Berufsevolutionär verwandelt.

Manchmal ist Politik eben ein langes Glashaus, in dem ein Stein dem anderen „auf Wiedersehen irgendwann“ sagt – und dafür, das weiß Trittin inzwischen aus der eigenen Westentasche, ist es in der Politik nie zu spät, wenn auch immer zu früh.

PETER KÖHLER