Die Meinungspiraten

Blogger veröffentlichen ihre eigene Meinung im Internet. Und ärgern damit US-Politiker: Denn es ist Wahlkampf

Amerikanische Wahlen sind Wahlen im Internet. Das ist schon seit fast zehn Jahren so. Amerikanische Politiker sammeln Geld im Netz, sie lügen im Netz, sie beten im Netz, und sie führen Kriege im Netz. Sie können das nur besser als europäische Politiker, die immer noch stolz darauf sind, dass sie keine Ahnung davon haben. In Deutschland steht an der Spitze dieser Liga ein CDU-Mann, dessen Homepage vor zwei Jahren zum letzten Mal aktualisiert worden ist (www.eberhard-giengen.cdu.de; wir danken unserem Leser Christian Eheim für diesen sachdienlichen Hinweis).

Solche Pannen kann sich kein amerikanischer Politiker leisten – nicht weil das Netz demokratisch ist, sondern weil seine User es sind. Das Internet hat die literarische Gattung des Weblogs hervorgebracht, kurz „Blog“ genannt. Das sind Tagebücher von Leuten, die genau das ins Web schreiben, was sie denken, sehen, meinen und sonst noch sagen wollten, ohne Redaktion und Medienberater. Auch Blogger reden Unsinn, auch Blogger führen Propagandaschlachten, manche beten sogar, aber all das tun sie nicht im Auftrag einer Partei, sie brauchen keine Spendengelder. Deshalb sind sie die Einzigen, denen man im Web überhaupt glauben kann. Sie sind selbst dann echt, wenn sie lügen. Denn das Internet ist zwar keine Wahrheitsdroge, aber eine Methode der Wahrheitsfindung, weil seine technische Struktur dem Modell der Diskussion unter Gleichen nachgebildet ist.

Amerikanische Politiker haben damit ein Problem. Medienkonzerne jagen Leute, die nicht einsehen wollen, dass es im Internet geistiges Eigentum gibt. Blogger sind für Politiker das, was Urheberrechtspiraten für Medienkonzerne sind: Meinungspiraten, die sich weder um Wahrheit und Fairness noch um politische Korrektheit kümmern. Sie reden ungefragt dazwischen, von den heiligen Spielregeln der Pressekonferenz, der Parteitagsregie und der Kandidateninterviews haben sie noch nie etwas gehört. Deswegen sind sie beliebt, manche haben Kultstatus in ihrer Fangemeinde.

Was sollen amerikanische Politiker dagegen tun? Es bleibt ihnen nur das übrig, was Demokraten und Republikaner letzte Woche beschlossen haben: Sie laden ein paar ausgewählte Blogger ganz offiziell auf ihre Präsidentschafts-Wahlparteitage ein und drücken ihnen einen Presseausweis in die Hand. Kein echter Blogger hat zwar auch nur die leiseste Ahnung, was das sein könnte, aber es sieht demokratisch aus. Tatsächlich ist es nur Notwehr der professionellen Lügner gegen die Macht des Internets.

NIKLAUS HABLÜTZEL