nebensachen aus baghlan
: Ein Unfall in Afghanistan, für den es später keine Zeugen gibt

Durch einen ängstlichen Blick des Fahrers in den Rückspiegel aufmerksam gemacht, drehe ich mich um und sehe gleich, was los ist. Ein Geländewagen überholt die Autos hinter uns. Und er fährt verdammt schnell.

Wenn jemand in Afghanistan fährt wie ein Henker, und das in einem Geländewagen, dann sitzen mit großer Wahrscheinlichkeit Leute von Commander Soundso darin. Commander – so werden hier Warlords genannt. Das soll heißen, die Leute glauben, sie haben eine eingebaute Vorfahrt. Jeder auf der Straße hält schnell am Straßenrand an, um die Leute von Commander Soundso vorbeirasen zu lassen.

Dieser Geländewagen ist allerdings weiß mit einem grünen Streifen. Wir sind kurz vor Baghlan-Stadt, also in einer der vier Provinzen im Nordosten Afghanistans. Innerhalb der Internationalen Schutztruppe ist hier Deutschland zuständig, und die Bundesregierung hat der afghanischen Polizei 13 dieser Geländewagen zur Verfügung gestellt.

Als der Streifenwagen mit uns auf gleicher Höhe ist, hören wir einen ohrenbetäubenden Knall. Schwarzer Qualm steigt auf. Der Streifenwagen hat sicher ein Rad verloren, denke ich. Auch das habe ich hier schon oft gesehen. Ein Rad bricht einfach heraus, und oft bleibt das Fahrzeug den ganzen Tag stehen, bis es jemand abschleppt.

Doch weder von dem Streifenwagen noch von unserem Fahrer habe ich Anzeichen für plötzliches Bremsen wahrgenommen. Nach mehr als 100 Metern rollt der Streifenwagen aus, und unser Fahrer riskiert einen vorsichtigen Blick, damit das trudelnde Fahrzeug unser Auto nicht mitreißt.

Schließlich stehen wir, und ich steige aus. Vor dem Geländewagen sehe ich einen großen Gegenstand. Oh Mann! Der ganze Motor ist herausgefallen, denke ich. Doch beim Näherkommen sehe ich unter der Motorhaube des Streifenwagens ein kleines Motorrad liegen. Etwa zehn Meter weiter liegt ein Mann mit verrenkten Beinen. Neben ihm steht jemand, der neugierig den Arm des Mannes hochhebt und wieder fallen lässt, offenbar um festzustellen, ob er sich noch regt. Nur wenige Schritte weiter sind drei Männer damit beschäftigt, einen zweiten leblosen Körper eine Böschung heraufzuschleppen und auf die Straße zu legen.

Neben mir erscheint der junge Mann, der mit mir auf der Rückbank saß. Ich bin in einem Sammeltaxi gefahren. Auf dem Beifahrersitz zusammengequetscht saßen zwei Frauen mit einem Kind, damit sie nicht neben einem fremden Mann auf der Rückbank sitzen mussten. Der junge Mann sagt mir, dass wir sofort zu unserem Auto müssen, und rennt los. Als ich einsteige, sehe ich drei große Blutspritzer auf unserer Windschutzscheibe.

Nach ein paar Kilometern biegt unser Fahrer in einen Feldweg, nimmt einen Lappen und wischt sorgfältig das Blut ab. Dann setzt er sich wieder ins Auto und dreht sich zu mir um. Auch ohne das russische Wort für Unfall in seinem Kauderwelsch gehört zu haben, weiß ich sofort, was er von mir will. Wenn hier etwas passiert, will keiner zur Polizei oder am Unfallort bleiben, zumal wenn die Polizei diesen verursacht hat. Die Ordnungshüter könnten ein Bestechungsgeld fordern oder einem am Ende gar in den Fall verwickeln. Der Fahrer beschwört mich zu sagen, es habe keinen Unfall gegeben, falls jemand danach fragt. Ich sage: „Yeah, yeah, yeah, Leute!“ – „Er sagt: ‚Es ist o.k.‘ “, übersetzt der junge Mann neben mir auf der Rückbank. PETER BÖHM