Der Endspurt der Bush-Gegner beginnt

In Boston tagt ab heute der Wahlparteitag der Demokraten. Die Megaveranstaltung mit 36.000 Gästen soll John Kerry zum Kandidaten küren. Das Ergebnis wird sich in den Umfragen widerspiegeln. Fünf bis zehn Prozentpunkte mehr gelten als Erfolg

„Stärker zu Hause, respektiert in der Welt“, lautet die Botschaft

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

All jene in Amerika, die auf einen Wechsel im Weißen Haus im November hoffen, blicken ab heute hoffnungsvoll nach Boston. Der Parteitag der Demokraten mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Showbiz soll Senator John F. Kerry den nötigen Schwung für die verbleibenden drei Monate bis zu den Präsidentschaftswahlen verleihen und die Liberalen auf ihren Kandidaten einschwören. „Stärker zu Hause, respektiert in der Welt“, lautet die Botschaft der Demokraten. Sie will dem Bedürfnis vieler US-Bürger nach einem sicheren, führungsstarken, aber auch in der Welt geachteten Amerika Rechnung tragen.

Vier Tage lang wird die Stadt an der Ostküste, für viele neben San Francisco Symbol des liberalen Amerika, zum Mittelpunkt der US-Politik. 36.000 Gäste haben sich angekündigt, darunter rund 5.000 Parteidelegierte und 15.000 Journalisten. Am Rande werden Lobbyisten zu hunderten von öffentlichen und privaten Partys einladen.

Aus Angst vor Anschlägen befindet sich Boston in dieser Zeit im Ausnahmezustand. Zudem soll es einige Demonstrationen geben, obwohl sich die Protestbewegung auf den Republikaner-Konvent Ende August konzentriert. „Schlimmer als der Schneesturm von 1978 wird es auch nicht werden“, beruhigt Bürgermeister Thomas Menino die Einwohner. Damals war die Stadt sieben Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten.

Parteitag ist für die Megaveranstaltung ein unpassender Begriff. Vielmehr handelt es sich um eine pompöse Show mit Fahnenmeer, Konfettisalven, Luftballons und Musikstars, von Hollywood-Regisseuren und PR-Fachleuten minutiös geplant. Die perfekte Choreografie lassen sich die Demokraten 75 Millionen Dollar kosten.

Das Hauptaugenmerk richtet sich auf Politikergrößen wie Jimmy Carter, Bill Clinton, Al Gore, Ted Kennedy und „running mate“ John Edwards. Daneben werden sich Provinzfürsten, Parlamentarier und Kriegsveteranen allabendlich hinter dem Rednerpult tummeln. Als besondere Bonbons gelten die Auftritte von Jim Rassman, jenem Soldaten, dem Kerry in Vietnam das Leben rettete, und Ron Reagan, Sohn des jüngst verstorbenen Expräsidenten und bekennender Liberaler. Doch sie alle verfolgen ein Ziel: Politik emotionalisieren, Bushs Amtszeit in Grund und Boden stampfen, Kerry mit Lobhudelei überschütten und die Bühne für den großen Auftritt des Kandidaten Donnerstagnacht bereiten.

Die Vorzeichen sind günstig. Kerry führt in jüngsten Umfragen. Eine Mehrheit der Amerikaner sieht ihr Land auf dem falschen Kurs. Den Irakkrieg betrachten sie mittlerweile als Fehler. Die Wirtschaft boomt zwar, doch neue Jobs werden überwiegend im Niedriglohnsektor und in unsicheren Arbeitsverhältnissen geschaffen. Viele Wähler sind enttäuscht, dass der als „Konservative mit Herz“ angetretene Bush sich weniger um das marode öffentliche Schulsystem, explodierende Gesundheitskosten und die wachsende Zahl von Bürgern ohne Krankenversicherung kümmerte, sondern sich als Handlanger der Großindustrie und Vermögenden entpuppte.

Auch programmatisch hat Kerry Alternativen vorzuweisen. So will er die Mittelschicht steuerlich entlasten, dafür Bushs Steuergeschenke an die Reichen rückgängig machen, allen Amerikanern Zugang zu einer Krankenversicherung verschaffen, die Abhängigkeit des Landes vom Erdöl aus Nahost massiv reduzieren – zwei für US-Verhältnisse revolutionäre Ideen – und außenpolitisch das Image der USA reparieren.

Doch Kerry hat ein Problem: Bislang steht er sich selbst im Weg. Obwohl viele durchaus seine Nachdenklichkeit, Intelligenz und Erfahrung schätzen, wirkte er bei öffentlichen Auftreten oft spröde und distanziert. Die Wahl des charismatischen und volksnahen John Edwards zu seinem Vize hat nach Ansicht von Kommentatoren jedoch auf ihn abgefärbt. Er erscheint umgänglicher und weniger steif. Nun hoffen alle, dass Kerry gelingt, was 1992 Clinton schaffte: mit einem meisterlichen Auftritt sich die Herzen der Amerikaner erobern.

Politanalysten erwarten dennoch keinen grandiosen Popularitätsschub. Dazu sei die Gesellschaft zu sehr gespalten, viele Wähler bereits jetzt klar auf einen Kandidaten geeicht und die Stimmung im Lande maßgeblich von äußeren Ereignissen wie der Situation im Irak beeinflusst. Wenn Kerry anschließend um fünf bis zehn Prozentpunkte – Clinton erreichte sensationelle 29 Prozent – in den Umfragen zulegen könne, müsse dies bereits als Erfolg gewertet werden.