Jüdische Siedler machen mobil

Eine 90 Kilometer lange Menschenkette als Ausdruck des Protests gegen den Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen

JERUSALEM taz ■ Die jüdischen Siedler machen erneut gegen den angekündigten israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen mobil. Mit „einer halben Million Teilnehmer“ rechnete Rachel Saperstein aus dem Siedlungsblock Gusch Katif schon im Vorfeld der 90 Kilometer langen Menschenkette, die gestern Abend von ihrem Siedlungsblock bis zur Klagemauer in Jerusalem reichen sollte. Einige zehntausend veranschlagten demgegenüber Polizei und Militär, die die bislang größte Protestaktion gegen den Plan von Ministerpräsident Ariel Scharon absicherten.

Erst gestern Morgen riefen der linke „Friedensblock“ und die Verweigererorganisation „Jesch Gwul“ („Es gibt eine Grenze“) zu Gegenprotesten an zwei Sammelpunkten an der Menschenkette auf. Die Friedensorganisationen unterstützen Scharons Plan, bis Ende des kommenden Jahres 17 jüdische Siedlungen im Gaza-Streifen sowie zwei weitere im nördlichen Westjordanland aufzulösen.

„Wir reihen uns in die israelische Kette ein“, heißt es auf den Aufklebern, die junge Aktivisten schon seit Wochen an Straßenkreuzungen und Ampeln verteilen. Hunderte Plakate warnen vor der „Abtrennung“, die „uns vor dem Gesicht explodieren wird“. Die „Entwurzelung“ der jüdischen Siedlungen sei eine „Belohnung für den Terror“. Um diese „für Israel lebensgefährlichen Entwicklungen“ zu stoppen, so Rachel Saperstein, sei man vor einem Monat auf die Idee der Menschenkette gekommen.

Es sollte eine „andere Form des Protests, eine monumentale Aktion“ werden, bei der die Teilnehmer nicht nur passiv Reden anhörten, sondern „durch das Händehalten ihre inneren Gefühle zum Ausdruck bringen“, erklärte die Mittsechzigerin und gebürtige New Yorkerin, gestern in einem orangefarben Protest-T-Shirt vor einer Hand voll Journalisten in Jerusalem. Mit privaten Geldern der Leute aus Gusch Katif und Spenden von Juden und Christen aus seien die Kampagne und die 545 Busse zum Transport der Demonstranten finanziert worden.

Die Aktion fand einen Tag vor dem religiösen Feiertag „Tischa BeAv“ statt, an dem die Juden der Zerstörung des Tempels gedenken, was eine symbolische Bedeutung habe. „Nach tausenden Jahren der Verfolgung“, so Saperstein, könne es nicht angehen, dass ein israelischer Regierungschef jüdische Siedlungen zerstören lässt. Die Leute aus Gusch Katif würden „niemals gehen“, sagte sie und signalisierte, dass mit Widerstand zu rechnen ist, wenn es zu einer Evakuierung kommt.

Informationen der israelischen Nachrichtendienste zufolge besteht die Gefahr, dass rechtsextreme Gegner des Abzugs einen Bombenanschlag auf den Tempelberg planen. In einem Interview mit dem Zweiten Fernsehkanal bestätigte der Minister für Innere Sicherheit, Zachi Hanegbi, es gebe „bedrohliche Anzeichen“ dafür, dass Fanatiker den politisch wie religiös „empfindlichsten Ort“ nutzen würden bei dem Versuch, „eine Kettenreaktion auszulösen, die den Friedensprozess zerstören würde“. Berichten des Schin Beth zufolge wünschten sich 200 Israelis den Tod von Ministerpräsident Scharon. SUSANNE KNAUL