„Das Werk von Kriminellen“

Wer hinter dem Sprengstoffattentat steckt, ist noch unklar. Die Bürger in Bagdad meinen: Schuld sind die Amerikaner, sie sorgen nicht für Sicherheit

„Die wollten zeigen, dass die Amerikaner nicht einmal die UNO schützen können“, sagt Khairulla Zengana

aus Bagdad INGA ROGG

Blau flattert die auf Halbmast gesetzte UN-Fahne, an der Frontseite klafft eine riesiger Krater, das Mauerwerk der darüber liegenden Stockwerke ist in sich zusammengestürzt. Einen Tag nach dem schweren Anschlag auf das Hauptquartier der UN in Bagdad im südöstlichen Stadtvierteil Zayun ist das Gelände von amerikanischen Soldaten weiträumig abgeriegelt. Am Dienstagnachmittag war vor dem UNO-Sitz ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen explodiert. Noch ist unklar, ob es sich um ein Selbstmordattentat handelte. Bei dem Anschlag wurden mehr als zwanzig Personen getötet, unter ihnen auch der UN-Sondergesandte für den Irak, der Brasilianer Sergio Vieira de Mello.

Der Lastwagen sei zur Zeit des Abendgebets um etwa 16.30 Uhr Ortszeit auf das Gelände gefahren, berichtet KChairulla Zengana vom benachbarten Krankenhaus. Er habe gedacht, der bringe Baumaterial für die Arbeiter, die auf dem UN-Gelände dabei waren, eine Mauer hochzuziehen. Dabei habe er auch einen Kontrollpunkt amerikanischer Soldaten passieren müssen.

Die Klinik, in der Zengana arbeitet, wurde ebenfalls schwer beschädigt. Sie ist die einzige im ganzen Irak, die auf Rückgratverletzungen spezialisiert ist. Mit mehreren Kollegen steht der Verwaltungschef auf der Straße. Er kann immer noch nicht fassen, was passiert ist. „Das ist das Werk von Kriminellen“, sagt er. Das Krankenhaus war erst vor kurzem mit internationaler Hilfe renoviert worden. Zwar habe es bei ihnen keine Toten gegeben, aber zahlreiche Verletzte infolge herabstürzender Deckenteile. „Wer so etwas tut, hat jedes Maß verloren“, sagt der 52-Jährige.

Neben ihm drängt sich ein Mann vorbei und läuft auf die amerikanischen Soldaten zu. Er sucht nach einem Verwandten, der sich zur Zeit des Anschlags in dem UN-Gebäude befand. Ein irakischer Polizist schreibt sich den Namen auf und verspricht, den Suchauftrag weiterzugeben. „Die UNO und das Krankenhaus sind zivile Einrichtungen“, sagt Zengana. Deshalb glaubt er auch nicht, dass sich der Anschlag in erster Linie gegen die Weltorganisation gerichtet habe. „Die wollten zeigen, dass die Amerikaner nicht einmal die UNO schützen können.“

Nach dem Anschlag auf die jordanische Botschaft vor zwei Wochen ist dies das bislang schwerste Attentat auf eine zivile Einrichtung im Irak. „Wir haben Beweise, dass es sich um ein Selbstmordattentat handelt“, sagt Bernhard Kresnik, der für den Aufbau der irakischen Polizei zuständig ist. Zudem gebe es Hinweise, dass die militante islamische Gruppe Ansar al-Islam (Helfer des Islam) hinter der Gewalttat steckt. Beinahe täglich sind amerikanische Soldaten, aber auch Ölpipelines sowie die Strom- und Wasserversorgung Ziel von Attacken. Seitdem Präsident Bush im Mai das Ende der Hauptkampfhandlungen im Irak verkündete, sind 60 US-Soldaten bei Kampfhandlungen oder Anschlägen ums Leben gekommen.

Der amerikanische Verwalter für den Irak, Paul Bremer, sieht vor allem Mitglieder des alten Regimes und radikale Islamisten, die mit Ussama Bin Ladens Netzwerk al-Qaida in Verbindung stehen, hinter den Gewaltakten. Dazu zählt auch Ansar al-Islam. Die Militanten, in deren Reihen auch Kämpfer aus arabischen Ländern und Afghanistan kämpften, haben sich im kurdischen Norden bei Halabdscha verschanzt und werden für mehrere Attentate auf kurdische Politiker verantwortlich gemacht. Nach der Bombardierung ihrer Lager durch die Amerikaner im März sind die meisten Kämpfer, darunter auch die meisten Führungsmitglieder, in den Iran geflohen. Von dort seien mittlerweile mindestens 150 Militante in den Irak zurückgekehrt, sagte Bremer kürzlich.

Vor dem Krieg hatte Washington den Militanten enge Kontakte zum irakischen Geheimdienst Muchabarat sowie die Herstellung von Chemie- und Biowaffen vorgeworfen. Auch jetzt will Bremer nicht ausschließen, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Militanten und untergetauchten ehemaligen Geheimdienstlern existiert. Trotz der Anschläge auf kurdische Politiker traten die Radikalen in Kurdistan aber nicht mit Anschlägen auf zivile Einrichtungen in Erscheinung. Bei Anschlägen auf amerikanische Einrichtungen in Saudi-Arabien, Kenia und Tansania, die al-Qaida zugeschrieben werden, gingen die Attentäter allerdings ähnlich vor.

Irakische Beobachter vor Ort sprechen freilich seit längerem davon, dass es eine Zusammenarbeit zwischen den Islamisten und dem ehemaligen Regime gebe. Im so genannten sunnitischen Dreieck westlich und nördlich von Bagdad haben sich demnach Kader der gestürzten Baath-Partei unter dem Dach verschiedener islamischer Gruppierungen versammelt und würden mit diesen gemeinsame Sache machen. Dass sie sich jetzt die UN als Ziel ausgesucht hätten, erkläre sich aus dem gemeinsamen Feindbild. Die UNO hatte erst vor einer Woche den irakischen Regierungsrat anerkannt und den Ausbau ihrer Vertretung im Irak angekündigt. Das wäre eine weitere De-facto-Anerkennung der angloamerikanischen Besetzung des Zweistromlandes.

Der Anschlag ist der bislang schwerste in der UN-Geschichte. Er ist aber nicht der erste im Irak. Vor zehn Jahren waren UN-Vertretungen und internationale Hilfsorganisationen über mehrere Monate von Anschlägen heimgesucht worden. Einige der festgenommenen Täter sagten in späteren Prozessen aus, vom irakischen Geheimdienst beauftragt worden zu sein.

Doch Zengana und auch sein Kollege, der in der Klinik als Physiotherapeut arbeitet, bezweifeln, dass Islamisten hinter der Tat stecken. Dass der weiterhin gesuchte ehemalige Diktator Saddam die Tat in Auftrag gab, schließen sie ebenfalls aus. „Saddam hat doch genug damit zu tun, seine eigene Haut zu retten“, sagt der Physiotherapeut Saleh Heza lakonisch. In einem sind sich die Umstehenden allerdings einig. „Das ist erst der Anfang einer Serie, die unser Land ins Chaos stürzen wird“, sagt Heza. Schuld daran seien die Amerikaner. „Sie haben es bis heute nicht geschafft, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.“