Riecht nach Otter

Der Fischotter erobert sich derzeit seine alten Reviere in Norddeutschland zurück – ehrenamtliche Fährtenleser von der Aktion Fischotterschutz helfen ihm dabei. Ihre Ausbildung findet im Naturschutzzentrum Duvenstedter Brook am Südrand der Lüneburger Heide statt. Ein Selbsterfahrungsbericht

VON ANDREAS LAMPE

Strahlender Sonnenschein, Temperaturen leicht über dem Gefrierpunkt – bestes Wetter, um sich zum Otterspurensucher ausbilden zu lassen. Im Naturschutzzentrum Duvenstedter Brook an Hamburgs nördlichem Stadtrand duftet es nach frischem Kaffee, ein Beamer wirft ein „Willkommen“ an die Leinwand. Etwa 15 Leute sitzen in dem Seminarraum und warten auf die Referenten.

Hans-Heinrich Krüger, hauptberuflicher Mitarbeiter der Aktion Fischotterschutz, kommt etwas zu spät. Mit seiner Kollegin Anna Krekemeyer wird er in vier Stunden Frontalunterricht versuchen, den Wissensstand der zukünftigen Fährtenleser auf ein vertrauenswürdiges Niveau zu heben. Schließlich werden wir die Daten erheben, nach denen Wissenschaftler die aktuelle Verbreitung ermitteln.

Begeistert erzählt der bärtige Wildbiologe von Lutra lutra, so der wissenschaftliche Name des Fischotters. Es wird wohl keinem von uns gelingen, den Otter bei der Jagd in freier Wildbahn zu beobachten. Die Tiere sind nachtaktiv, extrem scheu und zudem noch selten. Wenn wir uns auf die Spurensuche begeben werden, ruhen sie in ihren Verstecken und verdauen die nächtliche Beute.

Beinahe wäre der größte unserer einheimischen Marder in Deutschland ausgestorben. Fischotter wurden von Fischern als Nahrungskonkurrenten angesehen und von Jägern wegen ihres Pelzes verfolgt. 1968 wurde die Jagd eingestellt, doch auch danach erging es den Ottern schlecht: Sie ertranken in den Reusen der Fischer, litten unter Giften und unter dem Rückgang ihrer Beutetiere, weil Bäche und Flüsse begradigt wurden. Ihr Verbreitungsgebiet schrumpfte zusammen. Ende der 80er Jahre gab es die großen Marder in größerer Zahl nur noch in Mecklenburg und Brandenburg.

Gerade noch rechtzeitig vor ihrem vollständigen Verschwinden kam die Wende mit dem Verbot des Pflanzenschutzmittels DDT, der Klärung der Abwässer und der Renaturierung von Flüssen und Bächen. Es gab wieder Fische, und die Naturschützer der Aktion Fischotterschutz überredeten viele norddeutsche Binnenfischer, Reusen zu verwenden, in denen Fischotter nicht ertrinken können.

Seit Beginn der 90er Jahre verzeichnen die Forscher um Hans-Heinrich Krüger eine Zunahme der Bestände – und das in einem bemerkenswerten Tempo. Inzwischen schwimmen und hoppeln die scheuen Tiere aus drei Himmelsrichtungen auf Hamburg zu. Sie folgen der Elbe flussabwärts, wandern entlang der Ilmenau Richtung Norden, kommen aus dem Gebiet der Lauenburger Seen und der Trave aus dem Nordosten. In diesem Winter wurden erstmals Spuren am Oberlauf der Alster gesichtet.

Die Aktion Fischotterschutz setzt uns ehrenamtliche Mitarbeiter ein, um ein möglichst großes Gebiet kostengünstig untersuchen zu können. Und noch einen Vorteil haben wir: Wir sind meist ortskundig. Die Region, in der die Suchstrecken liegen, die man zwischen Oktober und März kontrolliert, kann man sich aussuchen. Im Jahr 2000 machte die Aktion Fischotterschutz die erste Erhebung in Norddeutschland, 34 Spurensucher nahmen daran teil. 2007 seien es bereits 115 Spurensucher gewesen, sagt Anna Krekemeyer, die die groß angelegte Erhebung mit dem Namen ISOS koordiniert. Die Abkürzung steht für „Informationssystem Otter Spuren“.

Nach vier Stunden Frontalunterricht und zwei Liter Bohnenkaffee dürfen wir endlich raus, zum Praxisteil. An einem Bach in der Nähe hat Hans-Heinrich Krüger mit Holzstempeln Spuren von Fischottern, Bisamratten, Füchsen und Dachsen in den Schlamm gedrückt und Fischotterkot ausgelegt. Die Spuren zu identifizieren ist alles andere als einfach. Der Fährtenleser orientiert sich an der Größe, der Anzahl der sichtbaren Zehen und der Symmetrie des Abdrucks. Anders sieht es mit dem Kot des Fischotters aus. Er ist unverwechselbar, denn er riecht stark nach Fisch, Tang, Salz.

Meine fünf Suchpunkte bekomme ich etwa vier Wochen nach dem Seminar zugeteilt. Alle liegen an der Trave, einem 124 Kilometer langen Fluss, der in Ostholstein entspringt und dann in einem großen Bogen durch die Geest bis nach Travemünde fließt. Der Flussabschnitt, den ich absuchen soll, sieht trostlos aus: Wie mit einem Lineal gezogen durchschneidet er als zwei Meter breiter Graben die Wiesen- und Ackerlandschaft. Das Wasser ist ockerfarben von den Sedimenten, die mit dem Regenwasser von angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen eingespült werden. Bis auf vom Frost geknickte Brennnesseln gibt es keinen Uferbewuchs, der als Versteck dienen könnte. Den Lebensraum eines der seltensten heimischen Säugetiere habe ich mir anders vorgestellt.

Doch unter einer Straßenbrücke, meinem ersten Suchpunkt, finde ich eindeutige Beweise: hier war ein Fischotter. Deutliche Pfotenabdrücke, im Jägerjargon Trittsiegel genannt, sind im schlammigen Ufer zu sehen und Otterkot, in dem noch schillernde Fischschuppen und Gräten zu erkennen sind. Ich ignoriere den donnernden Straßenverkehr über mir und das trübe Wasser der Trave direkt vor mir und klettere über glitschige Steine näher heran. Kein Zweifel, das sind Otterspuren. Zum Beweis fotografiere ich die Spuren und sammle auch noch den Kot ein. Dabei steigt mir der Geruch, der etwa acht Zentimeter langen, grünen Wurst in die Nase. Riecht wie eine frische Meeresbrise. Eindeutig Fischotter!

Für die Otterschützer ist es wichtig zu wissen, wie weit die Tiere bereits vormarschiert sind und entlang welcher Wege sie ihr Verbreitungsgebiet ausdehnen. Otter haben eine ihr eigenes Leben extrem gefährdende Abneigung: Sie schwimmen ungern unter Brücken durch. Stattdessen steigen sie Böschungen hoch und überqueren Straßen. 90 Prozent der Totfunde gehen auf eine Kollision mit einem Kraftfahrzeug zurück.

Diese tödlichen Begegnungen wollen die Naturschützer verhindern, indem sie an den Wanderrouten der Otter so genannte Bermen unter die Brücken bauen. Die Bermen sehen aus wie kleine Bootsstege, die es dem Fischotter erlauben, an beiden Ufern trockenen Fußes unter der Brücke durch zu hoppeln. Das Programm zum Schutz der Fischotter heißt „Das Blaue Metropolnetz“. Es will länderübergreifende Wanderkorridore zwischen Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein schaffen.

Doch auch der Mensch soll von der Rückkehr der Otter profitieren. Bäume werden ans Ufer gepflanzt, Lehrpfade gebaut und Schautafeln aufgestellt.

Um den Fischotter zu sehen, muss man in Tierparks gehen. Dort ist er ein Sympathieträger, die Besucher drängen sich vor den Gehegen und beobachten die Tiere beim Spielen. Wenn Sie nicht fressen oder schlafen, scheinen Otter zu spielen, und das bis ins hohe Alter. Sogar Rutschbahnen an schneebedeckten Hängen bauen sie sich, laufen immer wieder die Böschung hoch und rodeln auf dem Bauch runter – ohne erkennbaren Nutzen, nur so zum Spaß.

Das Otterzentrum in Hankensbüttel liegt am Südrand der Lüneburger Heide zwischen Hannover und Hamburg. Nähere Informationen unter www.otterzentrum.de