Business in Billbrook

In dem hässlichen Industriegebiet am Stadtrand stecken mehr Ideen, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Hier werden Brillengläser maßgefertigt und Auto-Ersatzteile aus aller Welt zu Reparatur-Sätzen zusammengestellt

Versandumschläge werden mit Saugnäpfen geöffnet und gefüllt

von gernot knödler

Billbrook hat einen schlechten Ruf. Das Industriegebiet am Ostrand der Stadt ist hässlich. Jeder kann es sehen, der hier auf dem Ring 2 durchfährt: Verwahrloste Bahnanlagen, ein Sammelsurium unterschiedlichster Industriebauten auf riesigen Grundstücken und die Berzeliusstraße mit ihrer berüchtigten Wohnunterkunft, die im vergangenen Jahr abgerissen wurde. Doch der Eindruck trügt: Aus den unscheinbaren Blechkästen und Backsteindenkmälern heraus wird Blut in den Wirtschaftskreislauf gepumpt, Güter die jeder braucht und manchmal sogar Hightech.

Horst Werner, Chef der Firma Ruville Autoteile, sorgt dafür, dass Sie ihren Golf nicht zum V.A.G.-Partner bringen müssen, sondern den billigen Schrauber um die Ecke beauftragen können. 1922 in Hamburg gegründet, kauft Ruville bei Autozulieferern weltweit Ersatzteile, um sie an den ungebundenen Ersatzteilhandel weiterzuverkaufen. Rund 35.000 unterschiedliche Artikel hat die Firma auf 25 Regalkilometern gelagert: Kugellager, Schrauben, Zahnriemen, Dichtungen. Die Zahl der Teile geht in die Millionen. „Unser Ziel ist es, die freien Werkstätten in die Lage zu versetzen, zu wettbewerbsfähigen Preisen einkaufen zu können“, sagt Werner.

Mit Blick auf diese Endkunden stellen die 175 Ruville-Mitarbeiter in Billbrook komplette Reparatursätze etwa für Radlager zusammen oder für Spannrollen, die die Zahnriemen zur Motorsteuerung straff halten – typische Verschleißteile, die nach vielen Zehntausend Kilometern schlapp machen. 17.000 Teile täglich werden bei Ruville fast nur in Handarbeit verpackt. Bloß eine Beutelschweißmaschine hilft – zu unterschiedlich sind die Päckchen, die von hier aus verschickt werden.

45 Prozent seines Umsatzes macht Ruville in Deutschland, weitere 29 Prozent in Westeuropa und 22 Prozent mit Osteuropa. Vor allem durch das Engagement im Osten, das bereits vor der Wende begann, habe sich der Umsatz hat in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht.

Auch die Firma Hoya Lens handelt mit Ersatzteilen, allerdings für Menschen. Das Hamburger Werk des japanischen Optik-Konzerns stellt im Auftrag von Optikern maßgefertigte Plastik-Brillengläser her. 5.000 Optiker schicken die Spezifikationen für die Augengläser ihrer Kunden an die drei deutschen Hoya-Fabriken, wo sie geschliffen, poliert, gefärbt, gehärtet, entspiegelt und mit einer schmutzabweisenden Schicht versehen werden – ganz nach Zahlungswilligkeit.

„Wir sind Experte für Kunststoff-Gläser“, sagt Marketing-Manager Rainer Burkard. 70 Prozent der in Deutschland verkauften Brillengläser sind aus Kunststoff, 18 Prozent davon verkauft Hoya – soviel wie Rodenstock und mehr als Zeiss. Dass die Firma trotzdem kaum bekannt ist, liegt daran, dass sie sich beim Marketing nicht um die Endkunden, sondern um die Optiker kümmert.

Burkard nennt das ein „Business-to-business-Partner-Konzept“: Die Hoya besonders verbundenen Optiker erhalten Rabatte und Werbematerial und dürfen an einem eigens entwickelten Seminarprogramm teilnehmen.

In Billbrook arbeiten 150 Menschen für Hoya, 110 von ihnen in der hochtechnisierten Produktion, wo Versandumschläge mit Saugnäpfen geöffnet und automatisch gefüllt werden. Werksleiter Frank Oldörp rühmt sich, dass seine Fabrik in Billbrook kaum Ausschuss produziere und damit zur europäischen Spitze gehöre. Im Flur zeigt ein Chart, welchen Quartalsbonus die angelernten Mitarbeiter zu erwarten haben: zweimal 250 Euro.