Dicke Felle schwimmen weg

Einblicke in bornierte Allmachtsfantasien, Prügelszenen, Schießereien und andere Explosionen: Die Berliner Inszenierung „Helden!“ nimmt die Krise männlicher Identitätsbilder als Anlass zu weiblicher Inszenierungsfreude

Wo sind sie nur hin, die männlichen Helden? Als Auffangbecken kollektiver Errettungssehnsüchte hat das Heroische hierzulande gründlich ausgedient. Aber woran liegt es nur, dass Männer und Frauen sich trotzdem nicht so richtig verstehen? Mit der filmisch-dramatischen Kollage „Helden!“ spürt die Berliner Regisseurin Marianne Wendt, unterstützt von acht Kolleginnen, im Theaterdiscounter dem Phantomschmerz krisenhaft-männlicher Selbstidentifikation nach, denn der totgesagte Heroismus feiert weiterhin fröhliche Urstände.

Wo echte Kriege ausbleiben, rückt das andere Geschlecht zur Bewährungsprobe des modernen Mannes auf. So ist der erste Teil des Abends den „Helden im Bett“ gewidmet. In einer Bearbeitung von David Foster Wallace’ „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ geben acht Schauspieler in parallelen Monologen Einblicke in die bornierten Allmachtsfantasien ihrer einsamen Protagonisten. Die alles wissen und nichts mehr fühlen. Das Vokabular einschlägiger Beziehungsratgeber schnurren sie rauf und runter und salbadern andächtig von ihren „wiederkehrenden Mustern“. Bitter, amüsant und leider gut getroffen.

Lebendig wie eh und je sind die traditionellen Heldenerzählungen im kommerziellen Kino. Mit „Helden im Bild“ montiert der Wiener Filmemacher Thomas Draschan eine Found-footage-Collage aus Schwarzenegger, Bruce Willis und Hulk und verdichtet die Bilder auf das Wesentliche: Explosionen, Prügel- und Schießszenen.

Genauso feiern im dritten Teil die acht fiesen Männer ihre Wiederauferstehung als „Helden der Schlacht“. Doch was sie hier auch sind – Versatzstücke von Kleists Homburg, Schillers Wallenstein, Homers Hektor und Achill, Shakespeares Königen, Hebbels Siegfried und Müllers Macbeth – in monotoner Folge wird hier marschiert, gekämpft, usurpiert, gemeuchelt, gestorben.

Die Schauspieler tragen nummerierte Sporttrikots, deren Vorderseite eine eindrucksvolle, leider etwas schief aufgetragene Brust- und Bauchmuskulatur ziert. Merke: Nur als künstliches Serienprodukt sind die D(r)amenhelden noch interessant. Beißt einer im Kampf um die Herrscherkrone in den Staub, rekrutiert sich aus der Soldateska schon der zombiehafte Nachfolger.

Trotz fantasievoller Regieeinfälle fordern die abgespeckten Heldengeschichten ihren Preis. Die Handlung friert ein. Und nur wer seinen Kleist gelesen hat, kann sich auf die weißen Handschuhe des Kurfürsten einen Reim machen. Müllers Macbeth desertiert: „Mein Tod wird euch die Welt nicht besser machen.“ Spricht’s und verlässt mit einem lauten Türenknall die Bühne.

Die Bestandsaufnahme des Heroischen als bloß privater Allmacht und Entsagung bleibt damit leider an der Oberfläche. Gerne hätte man erfahren, warum die heroische Selbstaufopferung in ihrem gesellschaftlichen Nutzen eigentlich so undenkbar, so unsexy geworden ist. Doch auch in ihrer sanften Form macht emotionale Dickfelligkeit den modernen Mann zum Helden. Als hätte man das nicht schon vorher irgendwie geahnt.

JAN-HENDRIK WULF

Weitere Vorstellungen: Di, 27. 7., bis Sa, 31. 7., 20 Uhr. Abendlich wechselnde Begleitveranstaltungen, siehe unter www.helden-das-stueck.de