Den Allzweckberg hinauf und hinab

Wasserfall, Sessellift und Sommerrodelbahn – Auf der Alpspitze im Ostallgäu herrscht Abwechslung und Bewegung

Entschleunigung, sagt unser Bergbegleiter, sei bei Urlaubern in Nesselwang inzwischen sehr gefragt. Dabei gehe es darum, einfach etwas rauszukommen aus dem Stress. Wer mag, meint Robert Frei, kann das mit Kursen untermalen, mit Atemübungen, Entspannungstechniken. Aber kein abgedrehtes Esoterikkonzept steckt dahinter, sondern einfach die Erkenntnis, dass es jedem gut tut, mal wieder ein wenig langsamer zu machen. Also gehen wir den Aufstieg zur 1.575 Meter hohen Alpspitze im Ostallgäu zunächst einmal ganz gemütlich an.

Wir steigen langsam den Wasserfallpfad hoch. Doch schon nach gut fünf Minuten geht es über Holztreppen und steinige, aber gut begehbare Wege deutlich steiler bergan. Der Mann vor uns scheint seine Worte mit der Entschleunigung vergessen zu haben und beschleunigt stattdessen. Von unten ist plötzlich ein Klappern zu hören, ein Geräusch, das seit einigen Monaten quer durchs Land immer häufiger zu vernehmen ist. Aber hier oben auf 1.200 Meter Höhe, knapp 400 Meter unter dem Gipfel – das ist schon merkwürdig! Ein grellgelber Fleck ist wenig später zwischen den hohen Fichten und Tannen auszumachen, der sich bald als modernes Funktionsshirt entpuppt und schnell größer wird. Jon (sic!), ein Skilehrer aus dem Ort, ist auf der schwarzen Nordic-Walking-Strecke unterwegs. Der aus England stammende Wahlallgäuer gibt sich die Maximalherausforderung im „Steckerlgehen“ – Nordic Walking am Berg! Doch Begegnungen mit Intensivwalkern bleiben die Ausnahme.

Wir nehmen weiter Kurs auf den Gipfel, und zwar über die Kappeler Alp und dann – nach kurzer Rast – weiter zum Sportheim Böck. Oben dann, ganz in der Nähe der Endstation der Einer-Sesselbahn, gibt’s eine kräftige Linsensuppe und ein kühles Radler. Wir entschleunigen! Schade nur, dass bei dieser herrlichen Lage noch immer eine Terrasse fehlt – mit Blick auf die Füssener Berge und das Schloss Neuschwanstein und den Forggensee. Und wenn man den falschen Tag erwischt, kann es sein, dass man läuft und läuft und dann hungrig und durstig vor der verschlossenen Hütte steht, weil gerade Ruhetag ist. Das gilt auch für die überaus beliebte und unter anderem wegen der guten Kässpatzen häufig von Wanderern angesteuerten „Kronenhütte“, die auf dem Rückweg ins Tal in der Nähe der Mittelstation liegt. Unser Tipp: beschleunigt die Öffnungszeiten überdenken!

Zurück zu unserer Bergpause auf 1.450 Meter Höhe. Wer sich gar nicht satt sehen kann und zu den besonders Bergblickhungrigen zählt, dem empfiehlt es sich nach einer kleinen Rast, noch gut dreißig Minuten dranzuhängen und den restlichen Weg hochzusteigen zur Alpspitze oder fünfundvierzig Minuten zum Edelsberg. Belohnt wird man mit dem Schönsten, was man einem Bergwanderer bieten kann: einem herrlichen 300-Gipfel-Bergpanorama. Wer dann genug hat vom Wandern und Bergsteigen, kann sich den zeitweise recht steilen Rückweg ins Tal sparen und mit der Bergbahn fahren. Die Talfahrt mit der nostalgischen Einer-Sesselbahn ist ein gemütliches Über-die-Wiesen-Schweben. Keine Spur von diesem emsig-hektischen Umtrieb, der sonst an Vierer- und Sechsersesselbahnen herrscht.

Eine ganz andere Variante führt vorbei an der Enzianhütte, der Mittelstation der Bahn, bis zum Einstieg der 1.000 Meter langen Sommerrodelbahn. Im unteren Drittel der flotten Blechrinne gibt’s eine elektronische Zeit- und Geschwindigkeitsmessung, und hier ist die Versuchung groß, die Warnschilder vor den Kurven ein wenig zu ignorieren. Dann können schon mal knapp 40 Sachen herauskommen.

Beim gemütlichen „Hock“ am Ende des abwechslungsreichen Bergtages erzählt dann eine Wanderergruppe am Nachbartisch von ihrer ganz besonders teuflischen Variante der Alpspitztour: „Wir haben den Weg über die Höllschlucht genommen, es war grandios!“ Am besten tut man das von Pfronten-Kappel aus.

Ganz hinten in der Schlucht hat jemand im wahrsten Sinne des Wortes den Teufel an die Wand gemalt. Und einen Kochkessel dazu. Ab und zu sieht man dann aus der Schlucht Rauch aufsteigen. „Der Teufel kocht!“, heißt es dann am Berg.

Tatsächlich ist das Phänomen am besten bei Regen und anschließendem Sonnenschein zu sehen. Heuer klappt das – im Gegensatz zum vergangenen Jahr – besonders oft. Dann dampft der Waldboden so richtig, und aus der Höllschlucht steigt vermeintlich Rauch auf. Oben auf der Hütte wird dann später bei der Rast eine wilde Wanderergeschichte draus.KLAUS WITTMANN