Steckrüben für die Atmosphäre

Wie viel Klima kostet unser Essen? Dieses Thema wurde von der Gastronomie lange ignoriert. Einfach zu beantworten ist die Frage ohnehin nicht. Bioqualität allein ist nicht die Lösung. Jetzt hat in Berlin das erste klimaneutrale Restaurant eröffnet

VON ULRIKE SCHATTENMANN

Ein Biorestaurant macht heute keine großen Schlagzeilen mehr. Doch das Foodorama, das letzten Herbst in Kreuzberg eröffnet hat, geht noch einen Schritt weiter als die Ökokonkurrenz. Es ist das erste klimaneutrale Restaurant Deutschlands. „Wir versuchen, so wenig Kohlendioxid wie möglich zu erzeugen. Um den unvermeidlichen Rest, der in die Luft gepustet wird, auszugleichen, zahlen wir Geld an ein Aufforstungsprojekt in Indien“, erklärt Geschäftsführer Ozan Sinan das Prinzip.

„Der Gedanke, der dahinter steckt, ist, dass die schädlichen Treibhausgase überall auf der Welt wirken und deshalb auch überall ausgeglichen werden können“, sagt Sonja Obermeier von Climate Partner. Die Firma berät und zertifiziert Unternehmen, die sich zum freiwilligen Klimaschutz verpflichten. Ein Restaurant war bis dato noch nicht dabei. „Zu unseren Klienten zählen in erster Linie Gewerbebetriebe, wie etwa Druckereien, die sich mit dem Klimaengagement von ihren Wettbewerbern absetzen wollen“, sagt Obermaier.

Wer sich mit dem Siegel von Climate Partner, einer blauen Weltkugel schmücken darf, muss strenge Anforderungen erfüllen. Die Ausgleichszahlungen sind erst der letzte Schritt. Sinan muss etwa 200 Tonnen Kohlendioxid kompensieren, das kostet ihn 3.600 Euro im Jahr; eine vergleichsweise niedrige Summe und nur ein Bruchteil dessen, was er in Wärmeisolierung und energieeffiziente Küchentechnik gesteckt hat. Doch die Investitionen rechnen sich, glaubt Sinn. Ein umweltbewusstes Image zahle sich langfristig aus, egal ob in der Druckereibranche oder der Gastronomie. Sinns Engagement mag auch der Publicity geschuldet sein, tangiert aber ein wichtiges Thema: Wie viel Klima kostet unsere Ernährung?

Mehr als den meisten Verbrauchern bewusst ist. Die Landwirtschaft in Deutschland etwa verursacht einen ähnlich hohen Anteil an Emissionen wie der gesamte Straßenverkehr, also etwa 13 Prozent. Wie viel Klimaschaden welches Nahrungsmittel verursacht, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Grob gesagt steht Gemüse besser da als Fleisch und Molkereiprodukte, regionale Produkte punkten gegenüber eingeflogenen, frische gegenüber industriell weiterverarbeiteten und biologisch erzeugte Lebensmittel verursachen weniger Treibhausgase als konventionell erzeugte.

Aber wenn bei einem Produkt viele Faktoren auf einmal wirken, stimmt diese Einteilung schon nicht mehr. Weil ein Biorind ungleich mehr Weideland braucht als die konventionelle Kuh, aber genauso viel Methan in die Luft pupst, ist die Klimabilanz von Biofleisch und -milch teilweise sogar schlechter als die konventioneller Tierhalter. Das ist das Ergebnis einer Foodwatch-Studie, die letztes Jahr für großes Aufsehen sorgte. Kommt aber das Biofleisch aus der Region und das konventionelle wird tiefgekühlt aus Argentinien eingeflogen, sieht die Sache schon wieder ganz anders aus.

„Generell gilt, dass die Unterschiede zwischen ‚bio‘ und ‚konventionell‘ relativ gering sind“, sagt Uwe Fritsche vom Öko-Institut. Entscheidend ist der Transport. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit einiger Zeit damit, wie sich unsere Ernährungsverhalten auf die Umwelt auswirkt und ist Koautor der Studie ‚Treibhausgasemissionen durch Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln‘. „Je nachdem, wie die Lebensmittel vom Erzeuger zum Händler und von dort zum Verbraucher kommen, kann sich die Klimabilanz ändern. Eine schlechte Logistik, also etwa geringe Auslastung oder lange Wege, hat hier starken Einfluss.“

Die Wege der globalisierten Nahrungsmittelproduktion sind verschlungen und kompliziert. Doch was bedeutet das für einen Gastronom, der klimafreundlich arbeiten will? Vegane Küche der Saison? Dann stünden Steckrüben und Kartoffeln auf der Speisekarte – aber eben auch nur das. Sinan hat sich für eine Gratwanderung entschieden, die wohl unerlässlich ist, wenn man dem Klima Gutes tun und gleichzeitig ein Restaurant erfolgreich führen will. Es gibt das, was gerade in und um Berlin wächst, aber auch Pasta, Burger, Currywurst und Satéspieße – die Speisekarte liest sie sich wie ein Best of aller Küchen dieser Welt. Natürlich könnte Sinan das klimaschädliche Kalbsschnitzel von der Karte verbannen, genauso wie auf die edlen Wässer aus Norwegen und Schottland. Damit würde er den nöligen Puristen, die ihm vorwerfen, nicht konsequent genug seine Klimaschutzverpflichtung einzuhalten, den Wind aus den Segeln nehmen. Aber bei allem Engagement für Nachhaltigkeit: Dogmatisch will Sinan nicht sein. „Ich halte nichts von Selbstkasteiung“, sagt er. Schließlich läuft ein Restaurant nur, wenn sich die Gäste wohlfühlen – auch wenn das in dem ein oder anderen Fall die Klimabilanz nach unten zieht und Sinan dafür mehr Ausgleich zahlen muss.

Foodorama: Bergmannstraße 94, 10961 Berlin. www.foodorama.de