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: Beach Boy mit Allmachtsgarantie

Grundsätzlich hat sich Jürgen Klinsmann mit dem DFB auf einen Zweijahresvertrag als Teamchef geeinigt, Mitte der Woche soll die Sache endgültig perfekt sein

„Da gibt es überhaupt keine Eile“, hatte Jürgen Klinsmann am Ende der EM in Lissabon den erstaunten Journalisten bezüglich der deutschen Trainerfindung gesagt. Der tiefere Sinn der Klinsmann’schen Gelassenheit offenbarte sich erst viel später, als sich der DFB tatsächlich viel Zeit gelassen hatte – wenn auch nicht ganz freiwillig. Der wahlkalifornische Beach Boy hoffte einfach, dass man irgendwann auch ihn fragen würde, was dann ja Berti Vogts pflichtschuldigst erledigte.

Auch seither lässt sich Jürgen Klinsmann viel Zeit, verhandelt mal hier, telefoniert mal da, und vertreibt sich die Zeit ansonsten damit, die hektisch durch den Blätterwald rauschenden Gerüchte weder zu dementieren noch zu bestätigen. Zum Beispiel, dass jene drei Musketiere, die den deutschen Fußball ins Glück führen sollen, zehn Millionen Euro für zwei Jahre Heilsbringerschaft kassieren sollen, fein gestaffelt in 20 Prozent (Holger Osieck), 30 Prozent (Oliver Bierhoff) und 50 Prozent (D’Artagnan). Stimmt so nicht, sagt der DFB. Oder dass Klinsmanns Revolution keineswegs permanent ist, sondern eng begrenzt bis 2006 – ohne Option. Oder dass er den gesamten, nicht gerade kleinen Trainerstab des DFB, all die Skibbes, Rutemöllers und Stielikes, entsorgen und durch seine Getreuen ersetzen möchte.

Mitte der Woche sollen wir sie endlich erfahren, die Wahrheit, bis dahin geht es wohl vor allem darum, etwas in den Vertrag zu schreiben, was jener Stammplatzgarantie entspricht, die sich Klinsmann zu seiner aktiven Zeit so gern in die Kontrakte implantieren ließ: eine Allmachtsgarantie also, mindestens.

Die geplagten Trainerfindungskasper (TFK) des DFB sind so glücklich darüber, dass sie nun nicht mehr zum hundertsten Mal Hitzfeld oder Rehhagel anrufen müssen, dass sie dem smarten West-Coast-Schwaben offenbar am liebsten alles genehmigen würden. „Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr gefällt mir diese Lösung“, sagt Franz Beckenbauer und sieht sich damit in einer Reihe mit den DFB-Spitzen, die sich nicht mehr als ideenlose Waschlappen schelten lassen müssen, mit Exkandidaten wie Hitzfeld oder Rehhagel, die endlich ihre Ruhe haben, und mit seinen Kollegen aus dem Bayern-Vorstand, denen kein Daum mehr droht, und die, wenn die Sache schief geht, in Klinsmann einen exzellenten Sündenbock haben.

Je länger die Trainer der Bundesliga darüber nachdenken, desto weniger gefällt ihnen diese Lösung. Erst mäkelte Schalkes Jupp Heynckes, inzwischen hat Klaus Toppmöller vom HSV festgestellt, dass sich ihm die Haare sträuben, und Nürnbergs Wolfgang Wolf beklagt die fortschreitende Wertlosigkeit einer soliden Trainer-Ausbildung.

Avanti dilettanti, heißt die Devise, der Kandidat verbreitet derweil gute Laune und übt sich in vollmundigen Ankündigungen. Die Rede ist von grundlegenden Reformen, Strukturveränderungen, Aufbruch, alles ehrenwert, aber kaum durchführbar, schon gar nicht so kurzfristig. Im DFB bestimmen Landesverbände, die sich in erster Linie dem Amateurbereich verpflichtet fühlen, im Profifußball hat er ohnehin kaum noch was zu melden. Der Klinsmann-Plan und die Euphorie darüber erinnert fatal an den Deutschen Tennis-Bund, als dieser Boris Becker und Michael Stich zu seinen Rettern ausrief. Beide stürzten sich elanvoll und naiv in ihre neue Tätigkeit, nur um nach kurzer Zeit völlig frustriert wieder aufzugeben. Die vielzitierten Parallelen zur Völler-Inthronisation hingegen sind eher begrenzt. Der wurde ja zunächst keineswegs als Messias berufen, sondern als Übergangslösung. Erst in der praktischen Arbeit stellte sich heraus, welch brauchbarer Teamchef er war.

Ob Klinsmann das ist, darf bezweifelt werden, zumal die meisten seiner bisher geäußerten Ideen gar nichts mit dem Arbeitsbereich eines Teamchefs zu tun haben. Zum Beispiel der aus den USA mitgebrachte Gedanke, Spezialtrainer für bestimmte Fertigkeiten einzusetzen. So etwas funktioniert in den Klubs, bei der Nationalmannschaft, wo die Spieler nur ein paar Tage verbringen, wäre es idiotisch. Überhaupt ist der Fußball, den Nationalmannschaften spielen, vor allem davon abhängig, welcher Fußball in den Vereinen gespielt wird. Und da ist der Einfluss eines Teamchefs äußerst begrenzt. Man könnte auch sagen: er beißt auf Granit. Das konnte Jürgen Klinsmann dieser Tage schon mal am Beispiel Felix Magath erleben. Der neue Bayern-Trainer hatte sich mitten in der Schwelgerei darüber, wie DFB und Vereine künftig an einem Strang ziehen müssten, heftig über die geplante Asienreise der Nationalmannschaft vor der Winterpause beschwert. MATTI LIESKE