Masse oder Klasse?

Die Deutschen schätzen Naturkostgeschäfte und Reformhäuser – zumindest in Umfragen. Dass ein Großteil biozertifizierter Waren in Discountern gekauft wird, sieht der Fachhandel auch als Chance

Einkauf/Menge in Prozent (Anteil am Warenkorb der deutschen Haushalte) im Jahr 2008

Frischmilch 12,2Brot, frisch 8,9Kartoffeln 7,9Bananen 7,4Karotten 6,5Zitrusfrüchte 4,3Bouillons/Brühen 4,2Babykost 3,7Sojamilchgetränke 3,3Äpfel 2,5H-Milch 2,5Tomaten 2,1Naturjoghurt 1,9Fruchtjoghurt 1,6Teigwaren 1,6Mehl 1,5Hart-/Schnittkäse 1,3Margarine 1,3Frischwurst 1,2TK-Gemüse 1,2

QUELLE: GFK

VON VOLKER ENGELS

Die gute Nachricht zuerst: mehr als die Hälfte aller Deutschen greift zumindest gelegentlich zu Biolebensmitteln, 17 Prozent aller Konsumenten kauft regelmäßig Biowaren. Nur jeder Dritte erweist sich als konsequenter Ökomuffel und greift nie zu Lebensmittel mit einem Biosiegel. Zu diesen Ergebnissen kommt das Ökobarometer 2008, das das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) in Auftrag gegeben hatte. Für die Untersuchung wurden Ende des vergangenen Jahres 1.000 Bundesbürger befragt. Geradezu vorbildlich qualitätsorientiert antworten die Verbraucher auf die Frage, wem sie denn beim Kauf ihrer ökologischen Lebensmittel besonders vertrauen: weit vorn liegen Biometzgereien, Biobäcker sowie Naturkostfachgeschäfte und Reformhäuser. Konventionelle Supermärkte und Discounter liegen weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen – so die graue Theorie.

„Das Kaufverhalten spiegelt diese Entwicklung jedoch nicht wieder“, analysiert das BMELV trocken. Und tatsächlich belegen die Zahlen der Untersuchung, dass der Biokäse oder das Ökobrot, das auf den deutschen Frühstückstisch kommt, in erster Linie aus dem konventionellen Supermarkt oder vom Discounter kommt. Die Ursachen für den Widerspruch zwischen der Absicht und dem tatsächlichen Einkauf sind vielfältig, analysiert Elmar Seck von der Geschäftsstelle Bundesprogramm Ökologischer Landbau: „Viele Verbraucher kaufen Bio im konventionellen Supermarkt, weil sie dort mit einem einzigen Gang sowohl ökologische als auch konventionelle Lebensmittel bekommen.“ Zwar zeige die Befragung, dass Verbraucher die Kompetenz von Biofachgeschäften hoch einschätzen, „in der Hektik des Alltags wird aber weniger bewusst eingekauft“.

Für den studierten Agrarökonomen, der selbst überzeugter Biokunde ist, führt auch die schlechter werdende Konsumstimmung dazu, dass viele Biokunden zu günstigeren Bioprodukten vom Discounter greifen. „Discounter treiben den Biomarkt aber nicht voran, sie nutzen ihn.“ Die Zukunft des Biomarkts sieht der Sprecher des Bundesprojekts positiv: „Ich gehe davon aus, dass es weiter Zuwächse im zweistelligen Prozentbereich geben wird.“ Um Rohstoffengpässe zu vermeiden brauche es aber „mehr deutsche Biobauern“.

Ein deutliches Stoppsignal in Richtung Discounter hat Naturland – Verband für ökologischen Landbau e. V. gesetzt. Der Verband, der nicht nur in Deutschland, sondern weltweit den ökologischen Landbau fördert, verweigert Discountern wie Aldi, Lidl oder Penny die Zertifizierung mit dem Naturland-Siegel: Faire Erzeugerpreise, langfristige Handelsbeziehungen und eine ökologisch orientierte und zukunftsfähige Unternehmenspolitik sehen wir bei den Discountern derzeit nicht“, sagt Verbandsgeschäftsführer Steffen Reese. Es gehe zu Lasten der Höfe und der Qualität, wenn es etwa bei den Milchpreisen einen ruinösen Kampf gibt. Mit Folgen für den Biomarkt: Denn ist zum Beispiel der Abstand zwischen konventioneller und ökologisch hergestellter Milch zu groß, weil konventionell hergestellte Milch geradezu verramscht wird, dürften in Zeiten knapper Haushaltskassen viele Verbraucher erst mal das Bioprodukt meiden. Discounter nutzen in ihren Bio-Ecken vor allem das sechseckige grün-schwarz-weiße Symbol, mit dem in Deutschland Lebensmittel gekennzeichnet werden können, wenn sie den Vorgaben der EG-Ökoverordnung entsprechen. Die Richtlinien der Verbände wie zum Beispiel Demeter, Bioland oder Naturland sind mitunter deutlich strenger.

Trotzdem sieht Reese optimistische in die Zukunft und erwartet weitere Zuwächse im zweistelligen Bereich, trotz weltweiter Wirtschaftskrise: „Die meisten unserer Kunden sparen eher am Urlaub oder fahren das Auto noch zwei Jahre länger, als dass sie auf hochwertige Biolebensmittel verzichten.“

Einkauf/Menge in Prozent (Anteil am Warenkorb der deutschen Haushalte) im Jahr 2008

H-Milch 8,8Brot, frisch 6,1Kartoffeln 5,1Fleisch-/Wurstwaren 4,4Tiernahrung 4,2Rotfleisch 3,5Frischmilch 3,4Äpfel 2,8Zitrusfrüchte 2,5Bouillons/Brühen 2,3Bananen 2,2Gemüse/Rotkohl/Sauerkraut 2,1Fruchtjoghurt 2,0TK-Fertigprodukte 1,6Hart-/Schnittkäse 1,5Tomaten 1,5Teigwaren 1,4Süßgebäck 1,4Zwiebeln 1,3Zucker 1,3

QUELLE: GFK

Auch andere Verbände zeigen Discountern die kalte Schulter: „Mit denen gehen wir keine Handelsverträge ein“, so Gerald Wehde von Bioland, dem Verband für organisch-biologischen Landbau e. V. Eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den Biofachhandel sieht der Sprecher ohnehin nicht: „Discounter werden immer nur ein eingeschränktes Biosortiment haben, das nicht mit den Angeboten des Fachhandels konkurrieren kann.“ Zudem sei es möglich, dass der Aldi- oder Lidl-Kunde so richtig auf den Geschmack kommt und aus dem „Gelegenheitskäufer ein Mehrkäufer“ wird. Und der könne seinen Biobedarf vor allem im qualifizierten Fachhandel decken. Wehde erwartet, dass sich die Konkurrenzsituation verschärfen wird, wenn die konventionellen Supermärkte noch stärker auf Bio setzen: „Wenn die Bio besser machen, wird es für den Fachhandel enger.“

Für klassische Supermärkte ist die Bedeutung von ökologisch produzierten Lebensmitteln unvermittelt hoch: So bieten die rund 8.000 Edeka-Märkte in Deutschland unter der Eigenmarke „Bio Wertkost“ rund 250 Produkte an. „Die Eigenmarke wird vielerorts aber durch regionale Produkte von Bioproduzenten ergänzt“, sagt Sprecher Alexander Lüders. „Es gibt Edeka-Märkte, die bis zu 1.000 Bioprodukte im Sortiment führen.“ Auch wenn Biosegment im vergangenen Jahr gebremst gewachsen sei, im „zweistelligen Bereich“ liege es immer noch, die Perspektiven seien „sehr positiv“.

„Der Konkurrenzdruck für Bioprodukte wird innerhalb der verschiedenen Vertriebsformen steigen“, prognostiziert Elke Röder vom Bundesverband Naturkost Naturwaren, Herstellung und Handel e. V. Die Biobranche dürfe nicht stagnieren, sondern müsse sich weiterentwickeln: „Wir machen Bio auch, weil wir Bio weiterentwickeln wollen“, so Röder. Auch in Zeiten der Wirtschaftskrise müssten Konsumenten „täglich entscheiden, worauf es ihnen wirklich ankommt“. Milch von Turbokühen, die am Fließband produzieren, dürfte manchem kritischen Verbraucher die Lust am Cappuccino verderben. Die Chancen stehen also weiter gut für Bio.