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: Geschichte einer langen Ehe: Die Popkomm und der Mexikaner

Ein Beitrag zur Ethnologie der Musikindustrie

So langsam muss auch dem größten Optimisten klar werden: Der Sommer ist endgültig vorbei. Kühle Winde kommen auf, gelbe Blätter liegen auf der Straße, langärmlige Oberbekleidungsstücke werden hervorgeholt. Zeit für einen Rückblick.

Die deprimierendste Veranstaltung dieses Sommers fand zweifellos letzte Woche in Köln statt. Die sterbende Musikbranche hatte keine Kraft mehr, sich auf der letzten Kölner Popkomm noch einmal kurz aufzubäumen. Die Trauer-Messe war in den hintersten Winkel des weitläufigen Messegeländes verbannt worden. Verlassen lagen die unbehausten Stände der suizidgefährdeten Marktführer da. Bei den wenigen Menschen, die sich trafen, ging das Gerücht um, nachts solle es vor dem Mexikaner zum letzten Mal noch mal so richtig abgehen. Popkomm-Unkundigen sei erklärt, dass es sich beim Mexikaner um einen überteuerten Stehimbiss in der Nähe einiger Clubs in der Innenstadt handelt.

Dieser Mexikaner galt seit der ersten Musikmesse schon als Hot Spot. Hier erschloss sich Branchenneulingen die Bedeutung des Wortes „Promotussi“. Hier konnten in seligen Zeiten A&R-Manager ihre neuesten „Signings“ aufzählen, Productmanager erzählten „verrückte Storys“, die sie mit ihren „Acts“ bei „Fotosessions“ an „absolut geilen Locations“ im exotischen Ausland erlebt hatten. Rockmusiker trugen Lumpen um die Stirn gewickelt, auf dass man sie ganz bestimmt als solche erkenne, zum gleichen Zweck schleppten ein paar Jährchen später DJs ihre Chromkoffer mit. Trendsetter trauten sich hier erstmals, neue Moden wie das Schlüsselband oder die dreiviertellange HipHop-Hose der Öffentlichkeit vorzuführen.

Herrliche Szenen spielten sich ab: Bettbekanntschaften wurden hier angedacht, Freundschaften gingen in die Brüche, Zitiergemeinschaften wurden gegründet. Eine wunderbare Hysterie lag in der Luft: Münchnerisches Bussi-Bussi-Verhalten traf auf berlinerische Nörgel- und Lästerfreude, Hamburger Diskurskultur und gesundes Kölner Trinkverhalten. Aus nostalgischen Gründen machte man sich also in der letzten Nacht der letzten Kölner Popkomm auf den Weg zum Mexikaner.

Tatsächlich standen um halb vier nachts noch einige hundert Menschen vor dem berühmen Imbiss im Kölner Bermudadreieck. Vor dem „Blue Shell“ war immerhin eine Blutlache zu sehen, die fürsorglich mit Papiertaschentüchern bedeckt worden war. Später bewegten dann einige Jugendliche einen offenen Wagen der Bayerischen Motorenwerke, aus dem laut ein bassbetonter Chartshit erklang, mit ihrer puren Muskelkraft scherzhaft auf und ab. An der Fassade des „Prime Club“, früher „Luxor“, hatte man zwei Berlinflaggen angebracht. Das stellt hohe Anforderungen an Berlin.

Denn hier bei uns wird die Messe ja 2004, glücklicherweise im ICC, weit vor den Toren der Stadt, abgehalten werden. So viel ist klar. Aber wo wird der Mexikaner sein? Der Berliner Mexikaner sollte natürlich urban gelegen sein. Vielleicht könnte man jetzt schon mal einen Imbisswagen, als erste Anlaufstelle, zwischen „Maria am Ufer“ und „Universal“ stellen. Wir Berliner dürfen die siechende Musikindustrie und ihre Vasallen, die nach dreizehn Jahren Köln endlich mal ihre Spesen in einer anderen Stadt verbraten wollen, nicht ganz ohne Orientierung lassen.

CHRISTIANE RÖSINGER