Ein Gipfelsturm für Humboldt

Sechs Bergsteiger wollen in Kirgisien einen 5.000er-Gipfel erstmals besteigen. Die Expedition ist nicht ungefährlich

Hohe Berge reizen zu großen Abenteuern. Und versprechen im Falle einer Erstbesteigung große Ehre. Das war vor 200 Jahren so, als der Berliner Naturwissenschaftler Alexander unbekannte Höhen erforschte. Am 23. Juni 1802 erreichte er beinahe den Gipfel des 6.310 Meter hohen Andenberges Chimborazo, der damals als der höchste Berg der Welt galt. Seinem Forscherdrang folgen nun sechs Berliner Bergsteiger. Sie fahren heute in die zentralasiatische Republik Kirgisien, um dort einen über 5.000 Meter hohen Gipfel zu ersteigen.

„Die Erstbesteigung ist der Traum jedes Bergsteigers“, sagt Matze Hascher, der im Trekkingladen Camp 4 arbeitet. Mit ihm auf die Tour gehen ein Richter, eine Fahrradladenbesitzerin, ein Bergführer, ein Unternehmer und ein Student. Erreicht die Gruppe den auserwählten Gipfel im Tienschan-Gebirge, will sie ihn nach Alexander von Humboldt bennen. Der habe es zwar selbst nie nach Asien geschafft, aber all seinen Schülern ans Herz gelegt, dorthin zu reisen, erklärt Bernd Schröder, Geschäftsführer des Berliner Alpenvereins, der die Reise mit vorbereitet hat.

Noch steht der Ehre nicht nur der beschwerliche Aufstieg im Wege. Denn der Gipfel gilt laut Schröder beim kirgisischen Bergsteiger-Verband zwar offiziell als unbestiegen und namenlos. Aber niemand weiß genau, ob in den Wirren von 1991, als sich die Kirgisische Republik nach dem Zerfall der Sowjetunion gründete, nicht schon jemand dort war. Offiziell hat die kirgisische Regierung das Grenzgebiet zu China erst 1997 freigegeben, nachdem die Minen geräumt waren.

Neben vergessenen Minen lauert eine weitere Gefahr. Erst 1999 wurde eine Gruppe japanischer Geologen von islamistischen Rebellen entführt. Für 3 Millionen US-Dollar konnten die vier Wissenschaftler freigekauft werden. Selbst wenn diese Entführung bisher ein Einzelfall blieb, westliche Touristen sind in Kirgisien immer wieder lohnendes Ziel für Raubüberfälle. Erst am 14. Juli hat das Auswärtige Amt deshalb seine Reisewarnung für Teile Kirgisiens erneuert. „Wir nehmen die Warnung sehr ernst. Sie gilt jedoch hauptsächlich für den Süden, wir wollen in den Osten der Republik“, erklärt Schröder. Für die Expedition sieht der 44-Jährige keine Gefahr: „Die Räuber werden sicher nicht auf einem unbestiegenem Gipfel lauern. Da kommt ja normalerweise keiner vorbei.“

Momentan sind die politischen Verhältnisse in Kirgisien stabil. Der zunehmende Islamismus im Land gilt als gemäßigt. Dennoch: Reisende, die trotz der Warnung in eine als gefährliche angesehene Region reisen, dürften derzeit bei der Regierung nicht besonders beliebt sein. Nach der Befreiung der Sahara-Geiseln foderte Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Abenteurer an den Kosten einer Befreiung zu beteiligen, wenn sie leichtfertig ihre Entführung riskiert hätten.

Die sechs Berliner haben aber erst einmal anderes vor Augen. Kirgisien ist das reinste Bergsteigerparadies. 80 Prozent der Republik, die etwa halb so groß wie Deutschland ist, liegen über 1.500 Meter hoch. Die Hälfte sogar über 3.000 Meter. Gefährlich seien in erster Linie die natürlichen Rahmenbedingungen, erläutert Schröder: ob das Wetter mitspielt und ob man einen Weg auf den Gipfel findet. Dafür muss man erst mal den Berg erkunden. Beobachten, wann und wo Lawinen abgehen. Obwohl alle Teilnehmer Hochgebirgserfahrung besitzen, wurde vor der Reise noch mal trainiert: letzten Winter Wasserfallklettern, um auch Gletscher überwinden zu können. Und im Juni Personenbergung und Hochlagerbauen. Und wäre es allein nach der Gefährlichkeit einer Expedition gegangen, hätte Alexander von Humboldt wohl auch zu Hause bleiben müssen. SILIVA HELBIG