Polizei sammelt Kräuter

Staatsanwaltschaft sucht in einem Hanfladen nach Betäubungsmitteln, die vielleicht gar keine sind. Sichergestellte Drogen: 15 Kilogramm Knaster-Hanf. Wer sich damit berauschen will, hat viel zu tun

von NICOLAI KWASNIEWSKI

„Gebt den Hanf frei!“, forderte der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele auf der Hanfparade 2002. Die Polizei hatte damals eine Hanfpflanze beschlagnahmt und Anzeige erstattet. Kurz darauf ging der Polizei alles verloren – Hanf, Anzeige und Unterlagen. Vielleicht ist das ganz gut so, denn die Pflanze war als Nutzhanf ganz legal angebaut worden. Die Verfehlung: Es lag keine Transportgenehmigung vor. Auf der diesjährigen Hanfparade wird deshalb der Bauer mit Transportgenehmigung die Pflänzchen herumkutschieren.

Die Entscheidung ist klug, denn in Berlin wird wieder Jagd auf vermeintliche Drogen gemacht. Am Mittwochmorgen durchsuchten Polizisten die Geschäftsräume, Lager und Wohnungen der Geschäftsführer des Ladens „Grow In“ in Berlin-Mitte. Der Vorwurf: gemeinschaftlicher Handel mit und Anbau von Betäubungsmitteln. Das Sondereinsatzkommando stellte 15 Kilogramm „Knaster-Hanf“ und „Knaster-Fresh“ sicher und transportierte sie ab. Nach Aussagen des Geschäftsführers Robert Salinger ließ er die Beamten freiwillig in seine Wohnung und die Geschäftsräume ein, ein Anruf bei seinem Anwalt sei ihm allerdings verwehrt worden.

Darüber wunderte sich Salinger zwar, rebellierte aber nicht, da er sich im Recht sieht. Knaster-Hanf wird seit 1999 von Grow In verkauft, nie gab es Probleme. Knaster sieht aus wie Tabak, ist als Räuchermischung deklariert und besteht aus diversen Kräutern sowie Blättern von Nutzhanf aus kontrolliert biologischem Anbau. Der THC-Gehalt ist laut Hersteller verschwindend gering: 0,004 Prozent.

Die Bundesopiumstelle kategorisiert den Knaster trotz des geringen Wertes als Betäubungsmittel. Der Grund: Die Möglichkeit zum Missbrauch zu Rauschzwecken muss ausgeschlossen sein. Der Knaster ist zwar als Räucherwerk deklariert, theoretisch könne man ihn aber rauchen.

Die Herstellerfirma Zentauri aus Völklingen im Saarland kennt die Diskussionen schon. Im Juni 2000 wurde sie selber durchsucht. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken erhob Anklage wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz – und verlor. Zentauri bekam den ganzen Hanf zurück und mehrere tausend Mark Entschädigung für den vierwöchigen Verdienstausfall. Die Begründung des Gerichts ist einleuchtend: Um sich mit dem Knaster zu berauschen, müsste der Vergnügungswillige innerhalb mehrerer Minuten drei Päckchen Knaster durchziehen. Die rauschnötige Anreicherung im Blut ist schlicht unmöglich. Zudem besitzt die Firma für den Export des Räucherwerks sogar eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung, die der taz vorliegt – ausgestellt vom Gesundheitsministerium des Saarlandes. Probleme gibt es trotzdem immer wieder. In Bayern wurde jüngst ein Hanfprodukte-Laden durchsucht. Erstaunliches Ergebnis einer Laboranalyse: Sogar im hanffreien „Knaster Special Q“ wurde THC gefunden.

In Berlin macht Salinger derweil schon Angebote: „Wenn die Staatsanwaltschaft uns die Ware schnell zurückbringt und sich entschuldigt, könnten wir von rechtlichen Schritten noch einmal absehen.“ Er versteht die Aufregung nicht: „Hätte uns die Polizei auf die Rechtslage hingewiesen, hätten wir das Produkt notfalls aus dem Programm nehmen können.“ Justizsprecher Björn Retzlaff ist anderer Meinung: „Es ist nicht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dem Bürger Rechtshinweise zu geben.“ In Berlin gilt Knaster-Hanf als Droge, der Handel damit als Straftat und die Hausdurchsuchung damit als „ganz normales Mittel“. Salinger sieht hinter den Durchsuchungen politisches Kalkül und überlegt deshalb, mit seiner Firma in ein liberaleres Bundesland umzuziehen. Die Staatsanwaltschaft mag das freuen, den Finanzsenator weniger. Grow In beschäftigt nicht nur 26 Mitarbeiter, sondern bildet sogar aus: Zwei Azubis zum Groß- und Einzelhandelskaufmann gibt es bereits, zwei neue beginnen gerade.