„Der große Dissens“

Gentech-Pflanzen werden im nächsten Jahr voraussichtlich auch in Deutschland großflächig angebaut. Ein „Großexperiment“ mit bisher noch unbekannten Folgen, warnt der Chef des Umweltbundesamtes (UBA) in Berlin, Professor Andreas Troge

„Vor allem den Ökobauern drohen Einkommensverluste“

Interview HANNA GERSMANN

taz: Herr Troge, pflanzt man den Tomaten ein kleines Fremdgen ein, bleiben sie schön knackig. Spricht was dagegen?

Andreas Troge: Aber sicher. Für einen Salat müssen es nicht ganz straffe Tomaten sein. Doch geht es nicht darum, dass etwas verändert wird. Das hat man bei der Züchtung auch.

Spricht da ein Gentech-Befürworter?

Als Behörde sind wir nicht Fan oder Feind. Ich bin nur sicher, dass die grüne Gentechnik kommt. Das Entscheidende dabei: Wir haben es mit einem Großexperiment zu tun, aus dem wir so schnell und so viel wie möglich lernen müssen.

Wir wissen noch gar nichts?

Wir wissen, dass Genpflanzen sich vermehren. Wir wissen aber nicht, wie sie sich langfristig auf den Naturhaushalt, Boden, Wasser, Luft, und den Menschen auswirken.

Haben Sie darüber schon mal mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (beide SPD) gesprochen? Denen kann es mit der Gentechnik nicht schnell genug gehen.

Wir haben uns mit denen unterhalten, die ein großes wirtschaftliches Interesse haben, Genpflanzen auf den Markt zu bringen. Der große Dissens: Hersteller haben ein anderes Risikobewusstsein als viele Verbraucher – und Behörden.

Welche Bedenken haben Sie?

Denken Sie nur daran, dass Genmais sein Insektizid, das Bt-(Bacillus thuringensis)Toxin selbst produziert, die ganze Vegetationsperiode über. Das wirkt anders, als wenn der Bauer zwei- oder dreimal im Jahr spritzt. Der Maiszünsler zum Beispiel – ein kleiner Schmetterling, dessen Raupe sich in den Maiskolben hineinfrisst – könnte schneller resistent werden. Andere Insekten können in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Leben im Boden kann sich verändern.

Der Boden in Gefahr?

Das kann ich nicht ausschließen, ich will hier aber auch keine Panik machen. Wir müssen einfach genau beobachten.

Verbraucher sind skeptisch, Umweltschützer auch. Setzt sich Rot-Grün über den Willen zu vieler hinweg?

Ich glaube nicht. Wir stellen in Umfragen fest, dass der Widerstand gegen Genfood ein bisschen abnimmt. Umso wichtiger ist, dass wir uns nicht auf die Grundskepsis in der Bevölkerung verlassen, sondern Fakten sammeln. Sagen wir künftig, Genfood sei nicht gut für den Menschen, wird die Industrie mehr Beweise fordern.

Welche haben Sie bisher?

Wenn sie ein Erdnussgen in einen Apfel einbauen, dann reagieren die auf Erdnüsse allergischen Zeitgenossen plötzlich womöglich auf Äpfel. Interessanter ist allerdings die Frage, ob die Kombination von Genen neue Allergien hervorruft.

Was, wenn gentechnisch manipulierte Arzneimittelpflanzen kommen? Da geht es um Herzglykoside, hormonell wirksame Stoffe, Impfstoffe.

Für diese Pflanzen kann ich mir kein Sicherheitsmanagement vorstellen, sie werden nicht auf dem freien Feld stehen.

Und in zehn Jahren?

Auch nicht. Meiner Ansicht nach dürfen pharmakologisch wirksame Stoffe sowieso nicht in Nahrungspflanzen produziert werden – wegen der Verwechslungsgefahr.

Für das Nebeneinander von Genpflanzen und herkömmlichen Pflanzen sollen die EU-Staaten selbst sorgen, Brüssel will das nicht einheitlich regeln. Ist das klug?

Ich halte das für keine Lösung. Brüssel regelt doch auch die Zulassung. Sobald im nächsten Frühjahr die ersten Genpollen fliegen, werden die ersten Streitfälle kommen. Landwirte werden vor Gericht ziehen, auf Schadenersatz klagen. Vor allem den Ökobauern drohen Einkommensverluste, weil sie ihre Produkte nicht mehr als garantiert gentechfrei verkaufen können.

Wie hoch werden die sein?

Das kann und will ich nicht schätzen. Doch will Renate Künast bis 2010 auf 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Ökolandbau. Sie hat allen Grund, sich für strenge Koexistenzregeln einzusetzen.

Daran arbeitet sie bereits. Was muß denn drinstehen?

Unter anderem müssen die Haftungsfragen geregelt werden, und zwar in der ganzen Lebensmittelkette – vom Saatguthersteller über den Bauern bis zum Verarbeiter.

Ihr Vorschlag konkret?

Getrennte Anbau- und Verarbeitungswege für gentechnisch veränderte und herkömmliche Lebensmittel.

Zwei Getreide-, zwei Ölmühlen – wer soll das zahlen?

Nach einem alten Rechtsgrundsatz gilt: Wer den Status quo verändert, der trägt die Kosten. Das Problem aber bleibt: Heute muss der Geschädigte zivilrechtlich beweisen, wer der Verursacher ist. Sonst bekommt er keine Entschädigung. Das ist teuer – und schwierig. Selbst als an der Genehmigung beteiligte Behörde muss ich sagen, dass wir nicht alle Folgen kennen.

Und nun?

Umweltleute sind vor vielen Jahren klüger geworden, haben die „Vermutung der Zurechnung“ eingeführt. Die schlage ich auch für Gentechnik vor. Das heißt: Baut der Nachbar eines Geschädigten Genraps an, ist er der Verursacher. Befreien kann er sich nur, wenn er beweist, dass er die gute fachliche Praxis eingehalten hat.

Die haben wir aber nicht, die gute fachliche Praxis für den Anbau von Genpflanzen.

Wir müssen sie deshalb ausarbeiten und rechtlich fixieren.

Jedes Saatkorn bekommt ein Marker-Gen, das den Hersteller zeigt. Was halten Sie von dieser Idee?

Das kann man machen, das wäre eine Art Code, von welchem Hersteller es kommt. Aber auch er zeigt nicht, welcher Landwirt genau verantwortlich ist. Wir haben der Industrie vorgeschlagen, einen Haftungsfonds einzurichten für die Fälle, in denen der Verursacher nicht identifiziert werden kann.

Wie kann man sich vor der ungewollten Genfracht denn schützen?

Durch Pufferzonen und Pollenbarrieren, wie Hecken. Durch die Ausweisung von schützenswerten gentechfreien Gebieten, zum Beispiel für die Produktion von Ökosaatgut. Aber auch durch versetzte Aussaattermine. Denn blühen Genpflanzen und herkömmliche zu unterschiedlichen Zeiten, können sie sich nicht kreuzen. Denkbar wäre auch, nur männlich sterile Sorten, die keine Pollen produzieren, als Genpflanzen zu nutzen. Auf jeden Fall brauchen wir ein öffentliches Anbauregister.

Wer soll das dann zahlen?

Die Hersteller. Aber auch der Staat ist in einer Mitverantwortung, um den Frieden auf dem Lande sicherzustellen.

Also halbe-halbe?

Wieso immer 50-50? Da lege ich mich nicht fest. Nur sollten wir nicht fünf Jahre brauchen, um uns über die Finanzierung zu einigen.

Ackerkulturen ändern sich jedes Jahr. Nach Genraps kommt herkömmlicher Winterweizen. Gensamen sind aber noch im Boden und können auskeimen. Das deckt das Anbauregister nicht ab.

So klinisch rein sind die jetzigen Anbaumethoden ja auch nicht. Sie können immer nur das Risiko begrenzen. Der 0,9 Prozent Gentech-Anteil, ab dem Futter- und Nahrungsmittel gekennzeichnet werden müssen, wird wohl nur in Ausnahmen überschritten werden.

Sind die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen in der rot-grünen Koalition überhaupt durchsetzbar?

Gegenwärtig deuten die Stimmen darauf hin, dass die Regelung nicht so streng wird.

Gibt es dann künftig bei Edeka und Aldi die Gentech-freie und die Bioecke?

Ich halte das für viel zu pessimistisch. Weniger als die Hälfte wird Gen-gelabelt sein.