Platte wird kein Arbeitslosen-Ghetto

Wenn Hartz IV kommt, müssen viele Arbeitslose umziehen. Ein Massenexodus in unsanierte Plattenbauten drohe aber nicht, sagen selbst die Wohlfahrtsverbände. Ein Problem: Noch fehlen Regelungen, wann eine Wohnung als angemessen gilt

VON DANIEL SCHULZ

Dem Osten droht nicht der Rückzug in die Platte. Das versichern die Bundesministerien für Wirtschaft und Aufbau Ost sowie Kommunalverbände in den neuen Bundesländern.

„Einen millionenfachen Umzug wird es nicht geben“, sagte gestern eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. „Diese Geschichte wurde zu pauschal in die Gegend trompetet“, sagte Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, gegenüber der taz. Auch Thomas Deiter vom Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern stimmt dem zu: „Das Plattenbauszenario ist weitgehend unzutreffend.“

Der Grund der Aufregung: Am Wochenende sollen der Deutsche Mieterbund (DMB) und der Paritätische Wohlfahrtsverband gemeldet haben, dass ostdeutschen Empfängern des Arbeitslosengeldes II der Umzug in billige, unsanierte Plattenbauten drohe. „Das haben wir so nie behauptet“, sagte hingegen Ulrich Ropertz vom DMB. Auch beim Wohlfahrtsverband will man sich so pauschal nicht geäußert haben. Sowohl Mieterbund und Wohlfahrtsverband als auch die Kommunalverbände sehen es auch nicht als Ost-West-Problem an, ausreichend Wohnraum für Arbeitslosengeld-II-Bezieher zu schaffen. „Im Osten gibt es Plattenbauten, im Westen dafür die Wohnungen der ehemaligen Besatzungsarmeen“, sagte ein Sprecher des Wohlfahrtsverbandes. „Entscheidender sind regionale Unterschiede“, sagt Gemeindebund-Vorsitzender Böttcher. So gebe es besonders in den Städten kleinere Wohnungen, während man „Omas Häuschen auf dem Land nur bedingt in Kleinparzellen zerteilen“ könne. In Universitätsstädten, wo sich Studenten für kleine Wohnungen interessieren, sehe es wiederum ganz anders aus.

Für den Mieterbund und den Wohlfahrtsverband ist es aber ein Problem, dass bisherige Arbeitslosenhilfe-Empfänger mit In-Kraft-Treten von Hartz IV am 1. Januar 2005 ihre Wohnungskosten senken müssen. „Und da wird oftmals nur der Umzug in eine billige Wohnung bleiben“, sagt Mieterbund-Sprecher Ropertz. Hier seien Kreise betroffen, die bisher mit dem Sozialhilfemilieu nichts zu tun gehabt hätten. „Wenn jemand heute seinen Job verlieren, erhält er nur ein Jahr Arbeitslosengeld“, sagt Ropertz. „So schnell konnte man in Deutschland noch nie sozial abrutschen.“

Doch ganz so schlimm soll es nicht werden. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) versicherte am Wochenende, Umzüge werde es nur in Ausnahmefällen geben. Und auch die Vertreter der Kommunalverbände sahen keinen Grund zur Panik. Denn die Gemeinden müssten genau abwägen, ob ein Umzug wirklich Geld einspart. „Wegen ein paar Quadratmetern über der Normgrenze wird die Kommune keinen teuren Umzug zahlen“, sagt Deiters vom Mecklenburger Gemeindebund. Zudem würden auch bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger keine Luxuswohnungen haben. Deshalb stelle sich das Problem so hart nicht, sagt Deiters.

In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern werden sich in den nächsten Tagen die Kommunalverbände mit den Sozialministerien treffen, um landesweite Richtlinien für „angemessenen Wohnraum“ zu vereinbaren. In Berlin soll es im Dezember eine Ausführungsverordnung geben. Im Übrigen werden Deutsche nicht sofort ihre Wohnung verlassen müssen, sobald sie Arbeitslosengeld II bekommen. Zunächst gilt eine Übergangsfrist von einem halben Jahr, in der bestimmt wird, was „angemessener Wohnraum“ bedeutet.