„Stets Herr der Lage“

Labour-Abgeordneter versucht die Regierung von einer Mitschuld am Tod von David Kelly reinzuwaschen

DUBLIN taz ■ David Kelly habe gelacht, als er Anfang vorigen Monats von dem britischen Parlamentsausschuss verhört wurde. Stress oder Unbehagen seien bei dem Wissenschaftler nicht festzustellen gewesen, sagte Donald Anderson, der Vorsitzende jenes Ausschusses. Drei Tage später war Kelly tot. Er hatte sich offenbar das Leben genommen, weil die britische Regierung ihn als Quelle für einen BBC-Bericht bloßgestellt hatte. Darin hieß es, Tony Blairs Kommunikationschef Alastair Campbell habe in einem Dossier die vom Irak ausgehende Gefahr aufgebauscht, um den Krieg zu rechtfertigen.

Anderson, ein Labour-Abgeordneter, sagte gestern vor dem Untersuchungsausschuss aus, der die Umstände aufklären soll, die zu Kellys Tod führten. Kelly, der für das Verteidigungsministerium als Waffenexperte arbeitete, sei stets Herr der Lage gewesen, sagte Anderson, er habe lediglich sehr leise gesprochen, weil das Wetter sehr schwül war. „Hätte Kelly Anzeichen von Einschüchterung gezeigt, so hoffe ich, dass ich mich entsprechend verhalten hätte“, fügte er hinzu.

Der Ausschuss habe sich keineswegs feindselig gegenüber Kelly verhalten, sondern ihm sogar ein gewisses Maß an Respekt entgegengebracht. Das Thema der irakischen Massenvernichtungswaffen wurde auf Anweisung von Verteidigungsminister Geoff Hoon nicht angeschnitten, sagte Anderson. Die Regierung hatte offenbar geplant, Kelly „umzudrehen“ und ihn als Zeugen gegen die BBC zu benutzen.

Die BBC und ihr Reporter Andrew Gilligan, dessen Radiobericht die Affaire Kelly ausgelöst hatte, kamen gestern nicht ungeschoren davon. Anderson sagte, er sei überrascht, dass Gilligan einem Mitglied des Parlamentsausschusses empfohlen hat, welche Fragen an Kelly zu richten seien. Gilligan hatte eine E-Mail an David Chidgey geschickt, den einzigen Vertreter der Liberalen Demokraten im Parlamentsausschuss. In der E-Mail, die dem Untersuchungsleiter Brian Hutton vorgestern vorgelegt wurde, zählte der BBC-Reporter Punkte auf, die Chidgey beim Kelly-Verhör ansprechen sollte. Anderson sagte gestern, es sei „sehr ungewöhnlich“, dass ein Zeuge, der bereits ausgesagt habe, so versuche, auf ein Mitglied des Ausschusses Einfluss zu nehmen.

Der ehemalige BBC-Reporter Pete Lunn schrieb gestern in der Irish Times, seine ehemaligen Kollegen hätten ihm gesagt, dass Gilligans Verhalten dem BBC-Journalismus schweren Schaden zugefügt habe. Künftig werde es strengere Richtlinien geben.

RALF SOTSCHECK