Köln erwartet 6.000 Hartz-Opfer

Die Fragebögen der Agentur für Arbeit zum neuen Arbeitslosengeld verunsichern die Antragsteller. Im Kölner Arbeitslosen-Zentrum steigt die Zahl der Ratsuchenden. Für Unruhe sorgt auch die Vorschrift, die Wohnung der Unterstützung anzupassen

VON JÜRGEN SCHÖN

Massenberatung per Megafon unter freiem Himmel: Für Thomas Münch vom Kölner Arbeitslosen-Zentrum KALZ wäre das der letzte Ausweg, um den erwarteten Andrang von Ratsuchenden zu bewältigen. „Schon jetzt steigt die Zahl der Anfragen, dabei hat die Agentur für Arbeit gerade erst damit begonnen, die Hartz-IV-Fragebögen für das Arbeitslosengeld 2 zu verschicken“, sagt er der taz. Als erste Konsequenz gibt es künftig ab August jeden Montag um 10 Uhr eine Gruppenberatung. „Wenn mehr als 100 Menschen kommen, wollen wir ins Bürgerzentrum Ehrenfeld hier um die Ecke“ – und wenn noch mehr kommen, dann geschieht eben alles im Freien vor dem Beratungszentrum.

„Eine Zumutung“ sei der 16-seitige Fragebogen, sagt Münch. Und wenn Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement behaupte, man könne ihn in 30 Minuten ausfüllen, zeige dass nur, „wie sehr er sich von der Wirklichkeit entfernt hat“. Experten gingen von mindestens anderthalb Stunden aus – nicht gerechnet die Zeit, die man braucht, um die geforderten Bescheinigungen zu besorgen. Viele, die die neue Unterstützung beantragen, würden erst beim Ausfüllen merken, was die Politiker ihnen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe eingebrockt hätten.

Allein in Köln, so schätzt Münch, würden 6.000 Menschen durch die neuen niedrigeren Bemessungsgrenzen ab Januar erst einmal kein Geld erhalten. „Neugierig“ ist er, ob in Köln durch Hartz IV Arbeitslose so gefördert werden, wie es die Bundesregierung immer wieder verspricht. „Statt 3.000 ABM-Stellen noch vor wenigen Jahren gibt es derzeit nur noch knapp über 400“, weiß Münch. „Auch im Programm ‚Arbeit statt Sozialhilfe‘ wurden 1.000 gestrichen.“

Immerhin verspricht Peter Welters, Chef der Kölner Arbeitsagentur, jedem Arbeitslosen ein Arbeitsangebot zu machen, wenn im Januar Hartz IV in Kraft tritt – „wenn nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt, dann im öffentlichen Bereich“. Das könnten etwa soziale oder Sauberkeitsaufgaben sein. „Dafür gibt es zwei Euro pro Stunde, zusätzlich zu den etwa 345 Euro Sozialhilfe, der Miete und den Heizungskosten.“ Welters räumt aber ein, dass durch Hartz IV „viele Arbeitslose weniger oder auch gar nichts bekommen“ werden, die bislang noch einen Anspruch auf Unterstützung hatten.

Rund 28.000 Kölner Arbeitslosenhilfeempfänger erhalten die Fragebögen in den nächsten Wochen. Einige hundert haben die Post schon bekommen. „Wir wollten testen, wie lange wir zur Bearbeitung brauchen“, erklärt Welters. Etwa 30 Minuten dauere es demnach im Schnitt, einen Antrag auf Vollständigkeit zu überprüfen. 90 eigene Angestellte wurden dafür geschult. 60 weitere Mitarbeiter wurden befristet angestellt, 30 davon kommen von der Telekom-Beschäftigungsgesellschaft Vivento. Schwierigkeiten allerdings, so war zu erfahren, machen die Fragen, in denen die „Angemessenheit“ des Wohnraums geklärt wird. „Hier fehlen uns noch die Vorgaben der Stadt“, heißt es.

Hierbei wird gefragt, ob der Antragsteller eine zu teure oder zu große Wohnung bewohnt und eventuell in eine kleinere, billigere umziehen muss. „Wie soll das in Köln gehen?“, empört sich Münch und zählt dies neben der Vorschrift, erst die Lebensversicherungen auflösen zu müssen, ehe man Arbeitslosengeld 2 erhält, zu den gravierendsten Eingriffen des neuen Gesetzes.

Die „Horrormeldungen“ über Arbeitslose, die demnächst zum Umzug in Billigwohnungen gezwungen werden, kann Kölns Sozialdezernentin Marlies Bredehorst nicht nachvollziehen. „Das geht schon allein deswegen nicht, weil wir hier nicht ausreichend preiswerten Wohnraum als Ersatz anbieten können“, stellt sie fest. Im Übrigen sei diese Regelung für die Sozialhilfeempfänger schon lange üblich, neu sei sie für etwa 28.000 Menschen, die bislang Arbeitslosenhilfe bezogen haben.

Mit Rücksicht auf die hohe Arbeitslosenquote (rund 12 Prozent), das hohe Mietenniveau und den Mangel an preiswertem Wohnraum setze man aber auf eine „kölsche Lösung“. Zwar gelte in Köln eine Höchstmiete von 297 Euro für eine Singlewohnung, für jede weitere mitwohnende Person kommen 99 Euro hinzu, doch lege man das „großzügig“ aus und zahle entsprechend Unterstützung zur Miete. In der Vergangenheit sei nur jeder zwanzigste Sozialhilfeempfänger in eine kleinere Wohnung „gedrängt“ worden. Mehrkosten für die Stadt erwartet Bredehorst durch das Verfahren nicht. „Der Bund hat den Städten zugesagt, die tatsächlichen ‚Kosten der Unterkunft‘ zu übernehmen.“