Mehr Meinungen als Köpfe

Schon am Tag nach dem Treffen der Unionsspitzen auf dem Frankfurter Flughafen klaffen die Ansichten zur Reformpolitik wieder weit auseinander. Die ostdeutschen Länderchefs Althaus und Böhmer sind weiter zu Verhandlungen mit Schröder bereit

aus Berlin ULRIKE HERRMANN
und HANNES KOCH

Bayernwahlen funktionieren nach dem Prinzip: Die wackere kleine CSU kämpft gegen den großen Bundestrend. Da im September eine Landtagswahl im Freistaat ansteht, muss die Union bundesweit aufführen, was CSU-Chef Edmund Stoiber vorgibt – und zu allen Reformplänen der rot-grünen Bundesregierung Nein sagen. Allerdings bröckelt diese kollektive Blockade. Daran konnte auch ein Einigungsgipfel in Frankfurt am Mittwochabend nichts ändern. Schon gestern waren diverse Unionspolitiker wieder diverser Meinungen.

So will Stoiber keinesfalls die angekündigte Einladung von Kanzler Schröder (SPD) annehmen, auf einem „Reformgipfel“ über die Gemeindefinanzen, die Arbeitsmarktpolitik und die vorgezogene Steuerreform zu verhandeln. „Es geht doch nicht um einen Reformgipfel, sondern es geht um Reformen“, sagte der Bayer lapidar. Stoiber setzt auf den Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat.

Diesem kategorischen Nein mochten sich zwei ostdeutsche CDU-Ministerpräsidenten nicht anschließen. Dieter Althaus aus Thüringen beschied, dass es töricht wäre, eine Einladung des Kanzlers abzulehnen. Auch Wolfgang Böhmer aus Sachsen-Anhalt würde mit dem Kanzler verhandeln – aber nicht über Sachfragen, schränkte er ein. Worüber sich reden lässt, wenn nicht über die Reformen, das bleibt vorerst Böhmers Geheimnis.

Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier ließ gestern durchblicken, dass die Regierung weiter zur gemeinsamen Umsetzung der Reformen bereit sei. Es wäre ja auch schön dumm, beleidigt die Konsensbemühungen einzustellen – wenn doch diese Freundlichkeiten so viel Unruhe bei der Opposition stiften.

Uneinigkeit herrscht dort auch bei der vorgezogenen Steuerreform. Eigentlich ist die Union dringend dafür, schließlich will man den Bürgern Gutes tun. Aber die Gegenfinanzierung möchte sie nicht mittragen. So ist Stoiber dagegen, die Entfernungspauschale zu halbieren, was 3 Milliarden Euro für den Staat bedeuten würde. Böhmer zog gestern die logische Konsequenz aus dem Nein zur Gegenfinanzierung. Er lehnt das Vorziehen der Steuerreform inzwischen gleich ganz ab.

Denn auf die Länder kämen bei einer Umsetzung der neuesten Oppositionsbeschlüsse neue Lasten zu. So lehnt die Union die Gemeindefinanzreform der Regierung ab, die auch die 780.000 Freiberufler heranziehen will. CDU und CSU kontern mit einem „Sofortprogramm“, das 6 Milliarden in die Gemeindekassen spülen soll. Ihr Anteil der Umsatzsteuer würde von jetzt 2,3 auf 3 Prozent steigen; gleichzeitig müssten sie von der Gewerbesteuer nicht mehr 28, sondern nur noch 20 Prozent abführen – zu Lasten des Bundes, aber auch der Länder.

Widerstand aus dem CDU-Umfeld ist zu erwarten. Denn Großkonzerne hätten das Nachsehen, sollte die Union die rot-grüne Gemeindefinanzrefrom komplett stoppen. So würde es vorläufig nichts mit der Reduzierung des so genannten Messbetrages, der über die Höhe der Steuern entscheidet. Außerdem müssten die Firmen weiter die Schuldzinsen langfristiger Kredite versteuern.

Alarmiert sind schließlich die CDU-Bürgermeister. Hessens Ministerpräsident Roland Koch setzte beim parteiinternen Spitzentreffen durch, dass künftig nicht die Bundesanstalt für Arbeit Langzeitarbeitslose vermitteln soll, sondern die Gemeinden. „Politisch falsch“, urteilte Jürgen Gnauck, CDU-Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebunds in Thüringen. Kochs Vorschlag würde die Kommunen 17 Milliarden Euro kosten.

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