Nicht aufzuhalten

Bremen hat den Kulturhauptstadt-TÜV der 3sat-„Kulturzeit“ mit Auszeichnung bestanden. Das Werbekonzept der Hansestadt zeigt Wirkung

Als Innovation gefeiert: Kultur als Retterin eines sinkenden Schiffs

Klar, wir sind deutscher Fußballmeister, Pokalsieger, Stadt der Wissenschaft und Weltkulturerbe. Aber Erfolg macht hungrig: Bremen will auch Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2010 werden. Ein Test, der alle zehn deutschen Bewerberstädte auf den Prüfstand stellt, wurde jetzt in der TV-Sendung „Kulturzeit“ mit Auszeichnung bestanden. Der Beitrag über Bremen läuft heute ab 19.20 Uhr auf 3sat. Eine Viertelmillion Zuschauer erwartet der Sender. Wir haben vorab schon einmal reingeschaut.

Geradezu euphorisch feiert der aus zwei Redakteuren bestehende TV-TÜV das Bremer Konzept, die Kultur als Retterin „eines sinkenden Schiffs“, als Stadtentwicklungspolitik zu nutzen. Ein letzter Strohhalm? Schließlich hat Bremen die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer, die höchste Arbeitslosenquote aller alten Bundesländer, muss die Sanierungspolitik als gescheitert und den dezenten Strukturwandel vom Industrie- zum Technologiestandort als nicht ausreichend ansehen. Wie Kultur da helfen kann, wie ihre angeblich „vorbildliche“ Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft als Wachstumsschrittmacher funktioniert, beleuchten die TV-Gutachter nicht. Auch unerwähnt bleibt die Tatsache, dass mit dem Titel „Kulturhauptstadt“ kaum konkrete finanzielle Unterstützung, sondern vor allem ein Imagegewinn und Werbeeffekt verbunden ist.

Egal. In Bremen sei die richtige Balance zu spüren zwischen heimischen Stärken und europäischen Ideen, behauptet der TV-TÜV. Durch die Bewerbung habe in der Stadt ein „spartenübergreifender und zukunftsorientierter Prozess“ begonnen, der „nicht mehr aufzuhalten ist“. Dafür gibt es in Sachen Nachhaltigkeit fette Punkte. Weitere heimst Bremen für den bereits realisierten „Anspruch der europäischen Verständigung“ ein. Beispielhaft wird das „Out now“-Festival in der Schwankhalle genannt sowie eine am Güterbahnhof geplante Begegnungsstätte internationaler Künstler. Beste Noten in der Rubrik „überregionale Resonanz“ bekommt Bremen für die Kammerphilharmonie und das Museum Weserburg. Ebenso für die Förderung nicht so populärer Kunst-Sparten wie Tanztheater und moderne Kunst. Weiterhin positiv vermerkt wird die historisch entwickelte Neigung des Hansestädters zu Sponsoring, Mäzenatentum und Stiftungswesen.

Mit anderen Worten: das Bewerbungskonzept des Kulturhauptstadtbüros funktioniert bestens. Daraus wurden die eben genannten Argumente als Behauptung übernommen – wie auch die zentralen PR-Begriffe „Besessenheit“ und „Brutstätten“. Die TV-Macher suchten das Besondere und fanden das Naheliegende.

Skeptische Töne schlägt in dem achtminütigen Beitrag nur Klaus Pierwoß an. „Ich schwanke zwischen Euphorie und Depression“, sagt der Theaterintendant. Die Kultur-Grundfördermittel von rund 1,5 Prozent des Landeshaushalts seien „kalkulierbar“, die Projektfördermittel aber nur „spekulierbar“.

Den Kulturhauptstadt-TÜV ebenfalls positiv bestanden haben bisher Potsdam und Görlitz. Durchgefallen sind Karlsruhe und Lübeck. Die dortige Kultursenatorin Annette Borns erzählt, dass das Ergebnis für eine „kleine Aufregung“ gesorgt habe, mit der die Kultur-Debatte wieder angeheizt worden sei. Zum negativen Urteil, Lübeck verlasse sich zu sehr aus Historisches, sagt Borns: „So kann man es auch sehen.“ 3sat würde halt nach anderen Kriterien bewerten als die maßgebliche EU-Jury, die 2006 den wahren Sieger küren wird.

Aber natürlich darf man dankbar sein, dass „Kulturzeit“ einfach mal mutig in ein schwebendes Verfahren eingreift, überdeutlich Stellung bezieht. Ungerecht ist das, aber Klarheit schafft es. Nur schade, dass die TV-Magazin-Ästhetik den redaktionellen Mut konterkariert. Formal wie dramaturgisch wirr, hektisch und selten synchron auf die arhythmisch geschnittenen Bilder gesprochen kommt der Beitrag daher. Recherchefehler haben sich eingeschlichen – etwa die Verwechslung der Einwohnerzahl von Stadt und Land Bremen. Aber wir bleiben auf Empfang. fis

Die nächsten Kulturhauptstadt-TÜV-Kandidaten sind Kassel (30.6.), Essen (4.8.), Braunschweig (6.8.), Halle (11.8.) und Regensburg (13.8.)